Die Anzahl und langfristige Entwicklung der Selbsttötungen zeigt den Zustand einer Gesellschaft, unabhängig von politischen Konjunkturen. Russland schneidet im internationalen Vergleich mittlerweile gut ab.
Das Lewada-Meinungsforschungsinstitut befragt seit 2002 regelmäßig einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung zu zahlreichen Fragen. Hierzu gehört, ob die Regierung entlassen werden solle. Im Dezember 2018 plädierte hierfür mit 53 % erstmals eine Mehrheit der Befragten.[i]
Das ist nachvollziehbar. Die wirtschaftliche Entwicklung Russland verläuft stockend, und viele Menschen sind bspw. der Ansicht, die Politik bevorzuge die Reichen. So wurde zum 1. Januar 2019 die Mehrwertsteuer von 18 % auf 20 % erhöht, was überproportional die unteren Einkommensschichten belastet. Auf der anderen Seite gibt es keine Anzeichen dafür, dass der Kreml vom Einkommenssteuersatz von 13 % abrückt, der fraglos die Wohlhabenden begünstigt.
Trotz aller Unzufriedenheit, die Entwicklung der Anzahl der Suizide zeigt eine gesundende Gesellschaft.
In den zehn Jahren zwischen 2008 und 2017 haben etwa 200.000 Menschen weniger ihrem Leben ein Ende bereitet als in der Dekade zuvor. Das ist nicht nur sehr erfreulich, sondern auch deshalb bemerkenswert, weil die Anzahl älterer Menschen in Russland deutlich ansteigt. Die Suizidneigung Älterer ist jedoch deutlich höher als diejenige jüngerer Menschen.
Auch in Deutschland sank zwischen 1980 und 2007 die Anzahl der Selbsttötungen. Seither steigen die Zahlen wieder leicht an und liegen nur noch wenig unter dem russischen Niveau. In Frankreich wiederum liegen die Suizidraten seit Beginn der Messungen im 19. Jahrhundert merklich über dem deutschen Niveau. Russland weist derzeit folglich mittlerweile eine geringere Selbsttötungsrate auf als die V. Republik. In Litauen ist die Suizidrate sogar mehr als doppelt so hoch wie in Russland. Die niedrigsten Werte in Europa weisen Griechenland und Albanien auf. Die Neigung zum Suizid ist kulturabhängig und weist traditionell erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen Ländern und Kulturen auf. Insofern ist bei internationalen Vergleichen Vorsicht geboten. Die Entwicklung der Suizidraten über einen längeren Zeitraum innerhalb eines Landes sagt hingegen viel über den Gesundheitszustand der Gesellschaft aus.
Womit wir gegen Ende zu den USA kommen.
Zwischen 2000 und 2016 ist das Einkommen der ärmsten 10% der US-Bevölkerung um 11% gefallen.[ii] 2007 überstieg das Vermögen der wohlhabendsten Gruppe dasjenige der ärmsten um das 40fache, 2016 jedoch bereits um den 75fache. 1983 besaßen die Wohlhabenden etwa dreieinhalb Mal so viel Vermögen pro Haushalt wie die Mittelklasse. 2016 war es das siebenfache.[iii] Könnte dies eine Erklärung dafür sein, dass sich heutzutage tausende Amerikaner mehr das Leben das Leben nehmen als noch um die Jahrtausendwende? Und die USA eines der weltweit sehr wenigen Länder sind, in denen seit Jahren die Lebenserwartung sinkt?
[i] https://www.levada.ru/en/2019/01/25/complaints-against-the-actions-of-the-government/
[ii] http://www.pewsocialtrends.org/2018/07/12/income-inequality-in-the-u-s-is-rising-most-rapidly-among-asians/?utm_source=Pew+Research+Center&utm_campaign=3c65befc89-EMAIL_CAMPAIGN_2018_07_12_01_09&utm_medium=email&utm_term=0_3e953b9b70-3c65befc89-400008085
[iii] http://www.pewresearch.org/fact-tank/2017/11/01/how-wealth-inequality-has-changed-in-the-u-s-since-the-great-recession-by-race-ethnicity-and-income/?utm_source=Pew+Research+Center&utm_campaign=c52aafd51f-EMAIL_CAMPAIGN_2017_10_31&utm_medium=email&utm_term=0_3e953b9b70-c52aafd51f-400008085
Quellen der Folien
1 Nach: https://bcb.su/statistika-suitsidov-v-rossii-2017.htm
2 Quelle: World Bank Data, http://databank.worldbank.org/data/reports.aspx?source=2&series=SP.DYN.LE00. MA.IN&country=RUS, in: Russland-Analysen 358, 6.7.18, S. 26
3 https://www.cdc.gov/nchs/products/databriefs/db309.htm; https://afsp.org/about-suicide/suicide-statistics/