Cybersicherheit: Gespräche kommen in Gang

In Moskau fand ein entsprechender amerikanisch-chinesisch-russischer Austausch statt.

Die Welt der Spionage hat nichts mit dem „Kategorischen Imperativ“ Immanuel Kants gemein: Die Führung des Gegners wird mit gezielten Falschinformationen versorgt, um sie auf eine falsche Fährte zu locken, Informanten werden angeworben oder etwa eigene Leute platziert, um an klassifizierte Daten zu gelangen.

Gleichwohl haben sich einige Gepflogenheiten und zivilisatorische Fortschritte eingespielt, um die Konkurrenz in einem für alle Seiten kontrollierbaren Rahmen zu halten. So wurde es zur Ausnahme, die Führung des Gegners „physisch zu eliminieren“, zumindest wenn kein Kriegszustand herrschte. Und es wurde üblich, enttarnte Spione nicht etwa hinzurichten, sondern gegen eigene gefasste Leute auszutauschen. Eventuelle Ausnahmen bestätigen diese Regel.

In den vergangenen Jahren hat sich das altbekannte Katz-und-Maus-Spiel der Nachrichtendienste dramatisch verschärft. Das Internet ermöglicht durch „Hacks“ auf Server des Gegners einen Zugang zu Daten in einer noch nie dagewesenen Quantität und Qualität. Als Folge davon rüsten die USA, China, Russland, Großbritannien oder auch Deutschland ihre Fähigkeiten zur Verteidigung und zum Angriff im Cyberraum dramatisch auf. An Regeln, so unvollkommen sie im klassischen Spionagemetier auch sein mögen, mangelt es jedoch.

Immerhin einigten sich die USA und China 2015 auf gewisse Maßstäbe der Cyberspionage. Sie waren unvollkommen, was bei diesem ersten Schritt auch kaum anders zu erwarten war, aber immerhin doch so vielversprechend, dass sich auch Australien und Großbritannien anschlossen.

Der damalige Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier schlug im August 2016 umfassende Rüstungskontrollgespräche vor, die auch den Cyberraum und natürlich Russland umfassen sollten. (S. hierzu: http://www.cwipperfuerth.de/2016/10/25/die-nato-und-russland-die-aktuelle-situation/ sowie http://www.cwipperfuerth.de/2017/01/09/ruestungskontrollgespraeche-kommen-in-gang/) Diese Initiative versandete (vorerst?).

Kritiker argumentieren, bislang weitgehend mit Erfolg, es sei naiv mit Russland über Cyberverhaltensregeln zu verhandeln. Der Kreml habe eine bemerkenswerte Skrupellosigkeit an den Tag gelegt und sei offensichtlich nicht bereit, sich in diesem Sektor, wie auch in anderen, an Völkerrechtsnormen und Verträge zu halten. Darum seien nicht Verhandlungen angebracht, sondern vielmehr verbesserte Fähigkeiten zur Abwehr und das Potenzial sowie die Bereitschaft zur Vergeltung.

Gleichwohl kommen westlich-russische Gespräche über die Cybersicherheit langsam in Gang. So schlug der russische Außenminister Sergei Lawrow bei seinem Besuch in Madrid im Herbst 2018 die Gründung einer gemeinsamen russisch-spanischen Gruppe zur Cybersicherheit vor, um möglichem Schaden für die zweiseitigen Beziehungen vorzubeugen. Spaniens Außenminister Josep Borell begrüßte den Vorschlag. Frankreich könnte nach den Worten Präsident Macrons folgen.

Und selbst zwischen den USA und Russland geht es voran, wie einem Bericht „Bloomsbergs“ zu entnehmen ist (https://www.bloomberg.com/opinion/articles/2019-01-04/managing-cyberwar-with-vodka-russia-china-u-s-meet).

Auf Einladung des russischen Außenministeriums trafen in Moskau hochrangige amerikanische, chinesische und russische Experten bzw. offizielle Vertreter zusammen. Die Teilnehmer aus allen drei Ländern sind sehr einflussreich, stehen jedoch nicht im Licht der Medien. Die Gespräche waren von der Öffentlichkeit abgeschirmt.

Man könnte mutmaßen, bei den US-Vertretern handelt es sich um Vertraute Präsident Donald Trumps, dem Kritiker eine allzu große Nähe zum Kreml vorwerfen. Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine erste derartige Gesprächsrunde fand auch bereits Ende 2016 statt, als der US-Präsident noch Barack Obama hieß.

Während der zweitägigen Gespräche wurde sondiert, ob sich Richtlinien finden lassen, um mit Konflikten im Cyberraum umzugehen, ob und wie vertrauensbildende Maßnahmen umsetzbar und wie sich eine Eskalation von Konflikten verhindern lasse. Ein Cyberkonflikt, der außer Kontrolle gerät, könnte folgendermaßen aussehen: Chinesische Hacker stehlen in den USA militärische Geheimnisse, etwa zur Herstellung von Torpedos. Die USA reagieren darauf, indem die Server der technischen Universitäten Chinas gestört werden. Peking legt daraufhin das U-Bahn-Netz New Yorks lahm. Weitere Eskalationsschritte mag man sich nicht ausmalen … Bei dem Treffen in Moskau wurde darum u.a. simuliert, wie China, Russland bzw. die USA auf einen Cyberangriff reagieren könnten.

Derartige Treffen können das wechselseitige Verständnis für die Beweggründe der anderen Seite erhöhen. Die Meinungsunterschiede in Bezug auf die Tätigkeit der Nachrichtendienste lassen sich eingrenzen, aber sie gehen weit darüber hinaus.

Rafal Rohozinski, ein führender Experte des Londoner „Instituts für Strategische Studien“ formuliert es so: Die westliche Seite klagt, warum Russland bspw. keinen Verantwortlichen inhaftiere, der von St. Petersburg aus schädliche Viren verbreite. Russen würden darauf antworten: „Warum schließt ihr nicht die von Tschetschenen betriebene Webseite, die Informationen nach Russland verbreitet, die unserem Recht widersprechen?“

Russland wird häufig vorgeworfen, den Westen durch eine Desinformationspolitik und Propaganda verunsichern und beeinflussen zu wollen. Nach Ansicht Moskaus betreibt genau dies der Westen in Bezug auf Russland bereits seit Jahren. Lassen sich Lösungen finden, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken? Oder ist einfach mehr Gelassenheit auf beiden Seiten angebracht?

Darüber muss offensichtlich gesprochen werden, was erst langsam in Gang kommt. Und nicht zuletzt müssen Vereinbarungen getroffen werden, die die Cyberspionage regeln, selbst wenn diese zunächst ähnlich unvollkommen bleiben mögen wie die „Gepflogenheiten“ im klassischen Milieu der Nachrichtendienste. Denn die Auswirkungen einer Eskalation im Cyberraum könnten dramatisch sein (s.o.) …

Was ist der deutschen Politik zu empfehlen? Im Herbst 2018 wurde die deutsch-russische Sicherheitskooperation spürbar intensiviert, der Cyberraum wurde hierbei jedoch ausgespart. (S. http://www.cwipperfuerth.de/2018/11/20/aktuell-deutsch-russische-kooperation-in-sicherheitsfragen/)  Diese Lücke sollte in Zukunft geschlossen werden – falls Russland dazu bereit ist. Hiernach sieht es jedoch aus, immerhin hat Moskau mit Madrid Gespräche über die Cybersicherheit vereinbart. Berlin müsste für Verhandlungen mit Moskau sicher viel Kritik einstecken, hätte hierfür aber eine beträchtliche Rückendeckung: Die deutsche Initiative vom August 2016 für einen Neustart der konventionellen Rüstungskontrolle wird immerhin von 22 Ländern aus dem OSZE-Raum unterstützt (https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/internationale-organisationen/uno/07_Sicherheitsrat). Und bei der besagten Initiative geht es auch um Regeln im Cyberraum.