Die Landwirtschaft floriert, aber mit gravierenden Ausnahmen.

Russland exportiert mittlerweile große Mengen Getreide. In anderen Bereichen der Landwirtschaft bleiben große Strukturprobleme.

Im Mai war das Wetter in Russland den Pflanzen nicht zuträglich, und der Sommer war zunächst recht kühl, sodass keine gute Getreideernte erwartet wurde. Das Landwirtschaftsministerium ging im Frühjahr 2017 von lediglich 100 Mio. t. aus, 2016 konnten 120,7 Mio. t eingefahren werden. Im Verlauf des Sommers verbesserten sich die äußeren Bedingungen, sodass die Prognosen mehrfach nach oben korrigiert wurden, im August auf 110 Mio. t. Derzeit, Mitte Oktober werden sogar über 132 Mio. t. erwartet. Das ist die größte Menge seit über 100 Jahren, womöglich sogar die größte, die je in Russland geerntet wurde..

Russland wird bis zu 45 Mio. t Getreide exportieren, gut ein Viertel mehr als im Jahr zuvor, und wird abermals Weizen-Exportweltmeister (s. http://www.cwipperfuerth.de/2016/11/25/grossmacht-russland-der-getreideexport/). Die Ausfuhren 2017/18 werden so hoch sein wie nie und fast das Dreifache des Werts von 2012/13 betragen. In manchen Regionen gibt es Probleme, hinreichend Eisenbahnwaggons für den Getreidetransport zu finden. Die Häfen werden an ihrer äußersten Kapazitätsgrenze arbeiten müssen, um den Export zu gewährleisten. Es gibt Zweifel, ob sie die Aufgabe werden bewältigen können.

Im September 2017 wurde bekannt, dass in Sarubino, in der Nähe Wladiwostoks, ein Getreideterminal mit einer Leistung von 33,5 Mio. t für die Ausfuhr errichtet werden soll. Die Kapazität soll schrittweise bis 2030 erreicht werden. Bislang wird aus Sibirien nur wenig Getreide exportiert, die dortige Getreideernte muss folglich um mehr als 30 Mio. t steigen. Dies ist mehr als Kanada einfährt, zehntausende Quadratkilometer müssen in Ostsibirien zusätzlich bestellt werden. Einige hunderttausend Menschen werden von der boomenden Getreidewirtschaft direkt oder indirekt profitieren. Dies würde der Region, die seit dem Ende der UdSSR unter Abwanderung leidet, eine vielversprechende Chance eröffnen. Falls denn die Pläne realisiert werden.

Der weltweite Getreideverbrauch ist zwischen 2011 und 2016 jährlich um 2,8% gewachsen, für die kommenden Jahre werden immerhin 1.4% jährlich erwartet.

Asiatische Länder haben in den vergangenen zehn Jahren ihren Weizenimport sogar fast verdoppelt. Grund ist die erhöhte Nachfrage nach Nudeln und Brot. Die Einfuhr wurde bislang fast ausschließlich durch die USA, Kanada und Australien gedeckt. Die Nachfrage für sibirisches Getreide wäre vorhanden.

Russlands Getreideernte wird auch in Zukunft tendenziell weiterhin wachsen, nicht zuletzt, weil die landwirtschaftliche Nutzfläche erheblich erweitert werden kann.

Der Export landwirtschaftlicher Waren übersteigt denjenigen von Rüstungsgütern bereits seit einigen Jahren.

Für 2017 werden landwirtschaftliche Exporte in Höhe von 20 Mrd. US-Dollar erwartet.

Russland will außerdem zum weltweit wichtigsten Exporteur von Bio-Landwirtschaftsgütern werden. Die entsprechende Anbaufläche hat sich 2014 verdoppelt, 2015 ist sie um weitere 57% angestiegen und das Wachstum setzt sich fort. Finden sich in einigen Jahren russische Bio-Lebensmittel in deutschen Supermärkten? Mitte September 2017 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Italien den Anbau einer von Brüssel zugelassenen gentechnisch veränderten Kulturpflanze nicht untersagen darf. Dies könnte den Gentechnikanbau in der gesamten EU beflügeln. In Russland sind gentechnisch veränderte Organismen seit 2016 verboten.

Zwischen 2014 und 2016 ist die Gemüseproduktion um 30% angezogen. 2017 erwartet das Landwirtschaftsministerium ein Wachstum um weitere 3,5% bis 4%.

Das sieht alles vielversprechend aus. Kommen wir zu den Schattenseiten (s. hierzu auch http://www.cwipperfuerth.de/2017/01/25/die-russische-landwirtschaft/):

  1. Russland ersetzt seit 2014 einen deutlich steigenden Prozentsatz der Lebensmittelimporte durch heimische Produkte. Gleichwohl überstieg 2016 die Einfuhr den Export weiterhin um immerhin acht Mrd. US-Dollar. Russland weist also nach wie vor einen negativen Außenhandelssaldo bei landwirtschaftlichen Produkten auf. Eine Verbesserung ist eher wahrscheinlich, aber keineswegs sicher. Russlands Getreideproduktion ist in den vergangenen Jahren auch aufgrund der Wertminderung des Rubels so stark angestiegen.

Russischer Weizen wurde 2012 für 350 US-Dollar je Tonne verkauft, Mitte 2017 wurden nur etwa 180 Dollar erzielt. Dies ist für russische Bauern kein Problem, da sich der Wert des Rubels gegenüber dem Dollar in diesem Zeitraum halbiert hat. Russische Produzenten erhalten in Rubel gerechnet folglich genau so viel wie 2012. US-Landwirte haben ihre Weizenanbaufläche aufgrund des Preisverfalls hingegen deutlich reduziert. Sie produzieren in diesem Jahr 15 Mio. t weniger als 2016. Die russische Landwirtschaft hat also von einem Sonderfaktor profitiert, der sich nicht wiederholen wird. Russische Erzeuger werden in Zukunft wieder unter stärkerem Preis- und Konkurrenzdruck anderer Weizenexporteure stehen.

  1. Die russische Landwirtschaft unterliegt aufgrund der kontinentalen Klimabedingungen stärkeren Produktionsschwankungen als etwa diejenige Deutschlands. Es ist durchaus denkbar, dass die Ernte in den nächsten Jahren durchschnittlich 20% unter den hohen Werten der letzten Jahre liegen wird, selbst wenn die Anbaufläche vergrößert wird.
  2. Russland importierte vor der Verhängung der Lebensmittelsanktionen gegen westliche Länder Mitte 2014 52% seines Käses, 2016 waren es nur noch 30%. Der Umfang der Milchproduktion, des Grundstoffs für Käse, ist zwischen 2012 und 2016 jedoch unverändert geblieben. In den ersten sieben Monaten 2017 stieg die Milchleistung pro Kuh zwar an, die Anzahl der Kühe hat sich jedoch um 0,9% verringert, sodass sich auch die diesem Jahr die gesamte Milchproduktion nur wenig erhöhte.

Die Erzeugung von Milch hat sich in den vergangenen Jahren praktisch nicht verändert, bei Käse ist sie jedoch deutlich angestiegen? Das passt nicht zusammen. Im russischen Fall passt es zusammen, weil auch nach offiziellen Angaben Milch häufig durch das minderwertigere Palmöl ersetzt wird. Die Palmölimporte sind in den letzten Jahren stark angestiegen. Die Quantität und teils Qualität der russischen Lebensmittelproduktion ist zumindest im Molkereiwesen deutlich unzureichend. Und eine Verbesserung ist nicht wirklich in Sicht. Dies liegt auch an folgendem Mangel:

  1. Die Landwirtschaftspolitik wird nicht mit Strukturpolitik verbunden. Die Anzahl kleinbäuerlich-privat gehaltener Kühe sinkt weiter massiv. Das heißt: In tausenden und abertausenden russischen Dörfern wird keine Milchwirtschaft mehr betrieben, anders als noch vor einigen Jahren. Der Staat fördert riesige Milchfarmen mit tausenden Kühen, die ganzjährig im Stall gehalten werden, mit hohen Summen, während unzählige Dörfer veröden und uraltes Kulturland verloren geht.

Die Lösung des Problems: Zwei Mio. Kühe verteilt auf 10.000 russische Dörfer. Der hierfür erforderliche logistische Aufwand wäre unbestreitbar hoch, die erforderliche finanzielle Förderung wäre aber kaum höher als der für die industriellen Milchfabriken. Unzähligen russischen Dörfern würde wieder Leben eingehaucht. Und nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität russischer Molkereiwaren würde deutlich steigen.

Wie so oft in Russland: Es gibt Licht, viel Licht. Aber auch außerordentlich viel Schatten.

 

Quelle der Folie, selbst erstellt nach: https://www.rbth.com/business/326197-russia-expors-food-tanks

 

Dieser Beitrag ist auch erschienen bei: http://russlandkontrovers.de/erfolge-und-defizite-in-der-russischen-landwirtschaft/