Nachrichten über dräuende, schwerwiegende Konflikte um Gebietsansprüche in der Arktis lassen den Blätterwald wiederholt rauschen. Auf den ersten Blick gibt es einige gute Gründe, die Berichte ernst zu nehmen: Territoriale Ansprüche sind teilweise umstritten oder nicht geklärt und im hohen Norden werden bis zu einem Viertel der bislang unentdeckten Gas- und Ölvorräte der Welt vermutet. Diese wecken aufgrund der hohen Energiepreise Begehrlichkeiten und ihr Abbau rückt aufgrund verbesserter Technik und steigender Temperaturen in der Arktis zunehmend in den Bereich des Möglichen. Es gibt zweifellos Interessenunterschiede zwischen den fünf Anrainern der Arktis, nämlich Dänemark (das völkerrechtlich Grönland vertritt), Kanada, Norwegen, Russland und den USA. Aber es gibt keine Indizien dafür, dass es sich um eine Kontroverse zwischen den vier NATO-Staaten auf der einen und Russland auf der anderen Seite handelt. Die Konfliktlinien decken sich nämlich keineswegs mit bündnispolitischen Bindungen. Greifen wir zwei Beispiele heraus:
In den vergangenen Jahrzehnten schrumpfte die Eisfläche erheblich, wie auf folgender Karte der „NASA“ deutlich wird.
(Quelle: http://earthobservatory.nasa.gov/IOTD/view.php?id=8126)
Die weiße Fläche kennzeichnet das Minimum der Eisbedeckung im Jahre 2007, die grüne Linie die Grenze der Eisbedeckung 2005 und die gelbe den Durchschnitt des Minimums der Jahre 1979-2000.
Das bedeutet zum Beispiel: Die „Nord-West-Passage“ könnte als Schifffahrtsroute in Zukunft eine erhebliche Bedeutung erlangen. Ihre Nutzung würde die Seestrecke von New York nach Tokio, die bislang durch den Panama-Kanal führt, von 18.200 km auf 14.000 km verkürzen. Sie führt jedoch durch kanadische Gewässer.
(Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/56/Nordwestpassage_NASA_Worldwind-globe.png)
(Die grüne Linie kennzeichnet die Route New York-Tokio durch den Panama-Kanal, die rote diejenige durch die Nord-West-Passage.)
Es ist zumindest die Auffassung der kanadischen Regierung, dass die Route der Nord-West-Passage durch nationale Gewässer Kanadas führt. Sie schickt wiederholt Patroillenboote in den hohen Norden, um ihre Sichtweise auch auf diese Weise durchzusetzen. Die USA jedoch und europäische Länder vertreten eine andere Auffassung. Sie sehen die Meeresgebiete als internationale Wasserstraße an. Sie fürchten, dass ihre Schiffe ansonsten in Zukunft, wenn die Passage im Sommer regelmäßig eisfrei sein sollte, jedes Mal um Erlaubnis in Kanada nachfragen müssten, wenn eines ihrer Schiffe die Wasserstraße nutzt. Unter Umständen müssten sie gar Transitgebühren entrichten.
Die Inselgruppe „Spitzbergen“ ist ein weiteres Beispiel dafür, dass es sich bei den Meinungsunterschieden um den hohen Norden keineswegs um eine Neuauflage einer irgendwie gearteten West-Ost-Konfrontation handelt. (Die Eilande befinden sich rechts neben Grönland, etwa in der Mitte der unteren Hälfte der Karte.)
(Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/77/Arctic_Ocean_relief_location_map_2.png)
Norwegen erhebt Anspruch auf eine exklusive 200-Seemeilen-Zone um die Inselgruppe herum. Die anderen Anrainer der Arktis – aber beispielsweise auch Deutschland – sehen dies jedoch anders. Und sie haben aufgrund der einzigartigen völkerrechtlichen Stellung der Inselgruppe vermutlich die besseren Argumente.
Fassen wir kurz zusammen: Es gibt Interessenunterschiede, und sie gewinnen unter anderem aufgrund der Klimaveränderung an Gewicht. Die Indizien deuten aber eindeutig darauf hin, dass die Kontroversen nicht eskalieren werden. Alle Anrainer haben erklärt und sich völkerrechtlich dazu verpflichtet, sich den Bestimmungen der UN-Seerechtskonvention und einem neutralen Schiedsgericht zu unterwerfen. Die USA haben sich lange diesem Schritt verweigert, haben die Konvention jedoch vor einigen Jahren ratifiziert.
Konflikte werden im Rahmen des „Arktischen Rats“ verhandelt, dem beispielsweise auch Deutschland oder China als Beobachter angehören.
(Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/36/Arctic_Council.png)
Alles spricht dafür, auch in dieser Frage an heißen Tagen einen kühlen Kopf zu bewahren. Auch, weil die Frage der Ausbeutung der Ressourcen in der Arktis weder jetzt noch in absehbarer Zeit auf der Agenda steht: in der Barentssee beispielsweise lagern im „Shtokman-Feld“ gigantische Erdgasreserven. Sie sind hinreichend, um den gesamten deutschen Erdgasbedarf für etwa zehn Jahre zu decken.
(Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/d1/Barents_sea_map_de.png)
„Gazprom“ hat die Entwicklung dieser Vorkommen jedoch zurückgestellt. Die Kosten sind einfach zu hoch, obwohl sowohl die klimatischen Bedingungen als auch diejenigen der Infrastruktur (die relative Nähe des großen Hafens Murmansk) erheblich günstiger sind als bei Gebieten der eigentlichen Arktis. Die Ressourcen im hohen Norden werden in Zukunft stärker genutzt werden als bislang, aber vor allem diejenigen in den Weiten Sibiriens oder Nordamerikas.
– Aber hat nicht ein russisches Unterseeboot 2007 eine russische Fahne, wetterfest aus Titan gefertigt, auf dem Meeresgrund unter der Arktis platziert? Andere Länder haben dies mit ihren Landesfarben auch getan, und die USA gar auf dem Mond. Mitunter herrscht halt Wahlkampf …