Die Ukraine vor einer außenpolitischen Richtungsentscheidung – Teil 2

Mit einer Ausnahme haben alle Führungen der Ukraine seit 1991 eine klare außenpolitische Positionierung ihres Landes zwischen Russland und dem Westen vermieden. Die Ausnahme war Präsident Wiktor Juschtschenko, der sein Land einseitig Richtung Westen ausrichten wollte – und auch aus diesem Grund an der Wahlurne abgestraft wurde.

Die Wirtschaft der Ukraine ist mit Russland etwa ebenso stark verwoben wie mit derjenigen der EU-Länder, sodass auch aus diesem Grunde eine Politik nahe liegt, die zu beiden Seiten enge, aber keineswegs auf Exklusivität bedachte Beziehungen pflegt.

(Quelle: Ukrainian Week, http://ukrainianweek.com/Economics/60189, in: Ukraineanalysen 108, S. 6)

Befürworter eines Anschlusses der Ukraine an den Westen wecken bei einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung zudem einen Widerwillen. Denn die Vertreter eines Westkruses pflegen in der Regel auch eine antirussische Haltung, die die Mehrheit der Bevölkerung ablehnt.

Nach neuesten Angaben sind 79 Prozent der ukrainischen Internetseiten beispielsweise in russischer Sprache (http://www.themoscowtimes.com/business/article/russian-language-second-most-popular-on-the-internet/477329.html). Russisch ist im staatlich finanzierten Bildungssystem der Ukraine faktisch jedoch nur noch im Fremdsprachenunterricht präsent. Dabei fordert eine deutlich Mehrheit der ukrainischen Bevölkerung, dass Kinder auch eine russischsprachige Ausbildung sollten erhalten können.

(Quelle: repräsentative Umfrage des KIIS vom 23.5. bis 1.6.2012, http://kiis.com.ua/ua/news/view-179.html, in: Ukraineanalysen 106, S. 17)

Eine Aufwertung des Russischen lehnt eine aktive Minderheit der ukrainischen Bevölkerung jedoch vehement ab. Dies wurde im vergangenen Jahr sehr deutlich, als das ukrainische Parlament den Regionen des Landes ermöglichte, die Verwendung anderer Sprachen – und nicht nur des Ukrainischen – im offiziellen Kontext zuzulassen.

Allein bereits der Versuch, das Russische landesweit dem Ukrainischen gleichzustellen, würde zu einer schweren innenpolitischen Krise führen, die die Stabilität des Landes gefährden könnte. Eine bevorzugte oder gar einseitige Bindung der Ukraine an Russland dürfte innenpolitisch kaum durchsetzbar sein.

Einige Indizien deuten aber darauf hin, dass eine neue Lage entstanden sein könnte. Zunächst sollten einige längerfristig wirkende Gründe genannt werden:

–        Die Ukraine hat als Transitland in den vergangenen Jahren durch die Inbetriebnahme der Ostseepipeline stark an Bedeutung verloren. In einigen Jahren wird die Leitung „South Stream“ durch das Schwarze Meer Gas an der Ukraine vorbei führen.

(Quelle: Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen – eigene Zusammenstellung. Zur Berechnungsgrundlage siehe Arbeitspapiere und Materialien der Forschungsstelle Osteuropa Nr. 101, S. 30, http://www.forschungsstelle.uni-bremen.de/images/stories/pdf/ap/fsoAP101.pdf)

(Die Angaben sind nicht mehr neuesten Datums, deuten aber eine gänzlich zutreffende Tendenz an.)

Der Ukraine entgehen Transiteinnahmen in Milliardenhöhe, die kaum zu ersetzen sind.

–        Die EU zeigt weiter Interesse daran, die Ukraine auf ihre Seite zu ziehen. Sie ist jedoch unverkennbar geschwächt und mit sich selbst beschäftigt. Brüssel pflegt gegenüber Kiew zudem eine Rhetorik der Ultimaten, die in eine Sackgasse geführt hat. Die EU hat an Attraktivität für die Ukraine und an Handlungsfähigkeit verloren.

–        Moskau hingegen demonstriert seit 2011 erstmals seit dem Ende der UdSSR 1991 die Bereitschaft, sich substanziell in der postsowjetischen Nachbarschaft zu engagieren. Kiew wird heftig umworben – und unter Druck gesetzt.

Kommen wir zu den aktuellen Gründen, warum die zwischen Ost und West schwingende Politik der Ukraine ihr Ende finden könnte:

–        Die Wirtschaftsdaten der Ukraine sind nicht günstig. 2012 war ein Haushaltsdefizit in Höhe von 4,2% der Wirtschaftsleistung des Landes,  zu verzeichnen.

(Quelle: The Economist, http://www.economist.com/markets/indicators/ , in: Russlandanalysen 251, S. 14)

–        Die Voraussagen über das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr waren vor drei Monaten mit 2% bereits mäßig. Seitdem haben sich die Aussichten weiter eingetrübt.

(Quelle: The Economist, http://www.economist.com/markets/indicators/ , in: Russlandanalysen 251, S. 12)

–        Zudem bleiben die Gaspreise hoch. Die Ukraine versucht von Russland Preisnachlässe zu erwirken. – Die Wirtschaft des Landes gehört weltweit zu den am wenigsten energieeffizienten.

(Quelle: UN Development Goals Indicators, http://mdgs.un.org/unsd/mdg/SeriesDetail.aspx?srid=648, in: Ukraineanalysen 112, S. 11)

Russland antwortet auf die ukrainischen Wünsche durchgängig mit dem Angebot, die wirtschaftlichen Verbindungen zwischen beiden Ländern deutlich zu verstärken. Die „Partei der Regionen“ oder Präsident Wiktor Janukowitsch werden hierzulande häufig als „russlandfreundlich“ bezeichnet, aber diese Einschätzung trifft und traf zu keiner Zeit zu. Die Führung in Kiew steht innen-, wirtschafts- und außenpolitisch jedoch vor so gewaltigen Herausforderungen, dass sie den Schritt einer engeren Bindung an Moskau gehen könnte. Oder könnte sie nicht versucht sein, Russland Probleme zu bereiten? Die russische Schwarzmeerflotte auf der Krim wäre ein Ansatzpunkt. Kiew wird 2013 vermutlich nicht mehr auf Zeit spielen können wie in den vergangenen Jahren.

2 Gedanken zu „Die Ukraine vor einer außenpolitischen Richtungsentscheidung – Teil 2“

  1. Hallo CHRISTIAN WIPPERFÜRTH,

    ihr Beitrag/ ihre Ausarbeitung zu diesem Thema. Ist ihnen gelungen.

    Es hätten finde ich persönlich einige teile ausführlicher ausgeführt werden können, war aber nicht all zu wichtig. Ich weiß nicht ob das relevant gewesen wäre, deren eventueller Einfluss auf deren Innenpolitik?

    Zum Bsp. der Punkt Militärstützpunkt von Krim. Eine Frage von mir was hat es mit dem Militärstützpunkt auf sich?

    Mit freundlichen Grüßen
    Sven

    1. Guten Abend Sven,
      danke für Ihren Brief.
      Einige Sätze zum Militärstützpunkt: Russland und die Krim haben sich nach dem Ende der UdSSR lange über die Zukunft der ehemaligen Roten Flotte im Schwarzen Meer gestritten. Schließlich haben sie sich darauf geeinigt, dass die Ukraine und russland je die Hälfte der in Sewastopol stationierten Schiffe erhalten sollen.
      Dies klingt klarer als es ist. Russland muss beispielsweise die Billigung der Ukraine einholen, wenn es neue Schiffe einführt. Die Ukraine besitzt auf der Krim recht wirksame Mittel, Russland unter Druck zu setzen. Umgekehrt ist dies auch der Fall. Die Ukraine verfügt könnte jedoch zahlreiche Nadelstiche ausführen, z.B. die Stromversorgung unterbrechen, Zufahrtsstraße für angebliche Ausbesserungsarbeiten sperren lassen, die Verbindung zu kleinen auf der Krim verstreuten militärischen Einrichtungen Russlands behindern, die für die Funktionstüchtigkeit der russischen Schwarzmeerflotte wichtig sind. Russland kann natürlich reagieren, es verfügt jedoch kaum über „Nadeln“, dafür jedoch einen „schweren Säbel“ um im Bild zu bleiben …
      Es grüßt Sie
      Christian Wipperfürth

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