Die Ukraine zwischen Russland und dem Westen. Zweiter Teil: Die „Orange-Revolution“ im Oktober/November 2004

Für den Herbst 2004 waren Präsidentschaftswahlen in der Ukraine anberaumt. Die beiden aussichtsreichsten Kandidaten waren Wiktor Juschtschenko und Wiktor Janukowitsch. Beide hatten in den vorhergehenden Jahren das Amt des Ministerpräsidenten bekleidet. Die Ukraine und Russland hatten während der Amtszeit Juschtschenkos recht gut zusammengearbeitet.

(Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/25/Vladimir_Putin_with_Viktor_Yushchenko-2.jpg)

Juschtschenko näherte sich nach seinem Ausscheiden aus dem Amt dann immer stärker der Opposition zum ukrainischen politischen Establishment an. Während des Wahlkampfs im Herbst 2004 konnte er sich auf eine Koalition ukrainischer Nationalisten (meist aus dem Westen des Landes), westlich gesonnener Demokraten und nicht zuletzt auf Oligarchen stützen, die die oberste Stufe von Reichtum und Macht noch nicht erklommen hatten. Für den Fall seiner Präsidentschaft war mit einem weiteren Zurückdrängen der russischen Sprache und einer Beschleunigung der Annäherung an euro-atlantische Strukturen zu rechnen. Diese Aussichten waren aus Sicht des Kreml nicht wünschenswert.
Wiktor Janukowitsch auf der anderen Seite vertrat seit langem nicht zuletzt die Wirtschaftsinteressen einiger ostukrainischer Oligarchen. Das russische Unternehmen „Sewerstal“ war bei der Privatisierung des großen Stahlbetriebs „Kryworischstal“ im Jahre 2004 nicht zum Zuge gekommen, obwohl es einen deutlich höheren Preis geboten hatte als der Mitbieter aus der Ukraine, der allerdings Janukowitsch nahestand. Auch auf dem lukrativen Mobilfunksektor wurden russische Unternehmen im Vergleich zu ukrainischen Insidern benachteiligt.
Im Oktober 2004 kündigte Janukowitsch bei einem Besuch in Moskau an, nach seinem Wahlsieg die doppelte Staatsbürgerschaft mit Russland einzuführen und dem Russischen den Status einer offiziellen Sprache zu verleihen. Diese Forderung war in weiten Landesteilen populär und Janukowitsch selbst war im Gebrauch der ukrainischen Staatssprache nicht sattelfest. Er positionierte sich demonstrativ als Vertreter einer russlandfreundlichen Politik, was in Anbetracht seiner überwiegend russischsprachigen Wähler und ihrer außenpolitischen Präferenzen auch naheliegend, wenn nicht erforderlich war. Es bestanden jedoch stets Zweifel, ob er tatsächlich beabsichtigte, diese Erklärungen nach einem Wahlsieg umzusetzen. Der bis Ende 2004 amtierende Präsident Leonid Kutschma hatte mit ähnlichen Versprechen seine Wahlkämpfe betrieben, sie jedoch nicht realisiert.
Der Kreml rang sich gleichwohl demonstrativ zu einer Unterstützung von Janukowitsch durch. Präsident Putin suchte ihn beispielsweise während des Wahlkampfes auf und lobte ihn während eines Interviews im ukrainischen Fernsehen mehrfach. Allerdings erklärte Russlands Botschafter in der Ukraine, Wiktor Tschernomyrdin, wiederholt, sein Land werde mit jedem ukrainischen Präsidenten zusammenarbeiten. Westliche Akteure stellten sich wiederum meist deutlich auf die Seite Juschtschenkos.
Beim ersten Wahlgang am 31. Oktober 2004 errang Janukowitsch nach offiziellen Angaben 39,32%, Juschtschenko jedoch 39,87%.

(Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e1/Ukraine_Wahlen_2004.png)

Die anderen Kandidaten, die zusammen etwa 20% der Stimmen errungen hatten, konnten somit nicht zur Stichwahl Ende November antreten.
Kurz vor diesem Urnengang erwies Putin auch Juschtschenko seine Referenz. Der russische Präsident beglückwünschte Janukowitsch allerdings bereits zum Sieg, bevor das offizielle Endergebnis verkündet worden war, und die russischen Beobachter erklärten die Wahl für fair und frei.

(Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/9/9c/Ja2411.jpg)

Janukowitsch errang nach offiziellen Angaben 49,46% der Stimmen, Juschtschenko 46,61%.

(Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/71/Ukraine_Wahlen_2004_2.png)

Unzählige Ukrainer und westliche Wahlbeobachter hielten die Ergebnisse jedoch für gefälscht. Hunderttausende Menschen gingen auf die Straßen.

(Quelle: Seite Wiktor Juschtschenkos, des zeitweiligen ukrainischen Präsidenten ( www.yuschenko.com.ua), zuletzt geöffnet am 10.04.2007. Diese Seite existiert nicht mehr.)

Die internationale Kritik an der Manipulation des Wahlergebnisses ließ nicht nach, sodass der russische Präsident zurückruderte. Putin schloss sich der Haltung des noch amtierenden ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma an, dass ein neuer Urnengang notwendig sei. Allerdings müsse nicht nur die Stichwahl, sondern der gesamte Wahlvorgang wiederholt werden. Dies hätte dazu geführt, dass weder Janukowitsch, noch Juschtschenko erneut hätten antreten dürfen. Eine neue Abstimmung hätte zudem erst zu Beginn des Jahres 2005 stattfinden können. Bundesaußenminister Joschka Fischer und das Europäische Parlament traten hingegen für eine Wiederholung lediglich der Stichwahl ein, während sich die US-amerikanische Seite bereits seit Monaten auffällig zurückhielt: Die Ukraine hatte 2002 ein zwar kleines, aber symbolisch wichtiges Truppenkontingent in den Irak entsandt. Juschtschenko jedoch hatte angekündigt, die Soldaten nach Hause zu holen. Die USA mochten Janukowitsch nicht unterstützen, sich lange aber auch nicht auf die Seite von Juschtschenko stellen.
Wenige Tage nach der Stichwahl fand der europäisch-russische Gipfel statt. Er war von wechselseitigen Anklagen mit bestimmt. Während Putin nochmals demonstrativ Janukowitsch zum Wahlsieg gratulierte, verkündete der niederländische Ministerpräsident und EU-Ratsvorsitzende, Jan Balkenende, das Wahlergebnis sei gefälscht und die EU könne es daher nicht anerkennen. Der russische Präsident entgegnete dagegen: „Wir haben kein moralisches Recht, ein bedeutendes europäisches Land in Unordnung zu stürzen. Wir besitzen kein Recht, uns in den Wahlprozess eines dritten Landes einzumischen.”
Die Verhandlungen über die „Vier Räume“, die zu einer vertieften Partnerschaft zwischen Russland und der EU führen sollen, wurden auf den nächsten Gipfel im Mai 2005 vertagt. Putin betonte aber die „strategische Wahl“ seines Landes für Europa.
Am 2. Dezember traf der russische Präsident überraschend mit seinem noch amtierenden ukrainischen Amtskollegen Kutschma auf dem Moskauer Flughafen zusammen. Putin erklärte, dass die Ukraine ein „hundertprozentig russischsprachiges Land“ sei, was auf Millionen von Bewohnern dieses Landes provokativ wirken musste. Andererseits sagte er: „Für Russland ist die Ukraine ein geeinter und unabhängiger Staat.“ Beide wandten sich nochmals gegen eine ausschließliche Wiederholung der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen.
– Der dritte Teil der Reihe „Die Ukraine zwischen Russland und dem Westen“ folgt in Kürze.