Streit um die Ostseepipeline

Es gibt Kontroversen, ob die Leitung erweitert werden sollte. Und welchen rechtlichen Regelungen die möglichen neuen Stränge unterliegen. Derzeit werden die Karten neu gemischt.

Anfang des Jahrhunderts war ernsthaft im Gespräch, ein Dreier-Konsortium zur dringend erforderlichen Modernisierung des ukrainischen Gastransitnetzes zu gründen. Partner sollten Deutschland bzw. die EU, die Ukraine und Russland sein, also der Abnehmer, das Transitland und der Produzent.

Diese Kooperation zur Sicherstellung der Energieversorgung wäre aus politischen und zur damaligen Zeit vermutlich auch aus wirtschaftlichen Überlegungen ein Gewinn für alle Beteiligten gewesen. Es kam jedoch nicht dazu. Kiew wollte zum einen die Kontrolle über das Gasnetz nicht teilen, zum anderen verschlechterten sich die ukrainisch-russischen Beziehungen mit dem Sieg der „Orange-Revolution“ Ende 2004 so sehr, dass Russland seine Abhängigkeit vom Transitland deutlich vermindern wollte. Durch die Ukraine wurden zu diesem Zeitpunkt noch fast drei Viertel der russischen Gasexporte in die Länder Mittel- und Westeuropas geliefert. Russland trieb darum ein anderes Projekt voran, gemeinsam mit westlichen Partnern:

Die Ostseepipeline („Nord Stream“) wird seit dem Jahre 2000 von der EU als ein zentrales Infrastrukturprojekt geführt.Nordstream 2005 begannen die Bauarbeiten, seit 2011 fließt durch die Leitung Gas. Die beiden Stränge der Pipeline besitzen eine Durchleitungsfähigkeit von 55 Mrd. Kubikmetern jährlich, gut der Hälfte des deutschen Verbrauchs. Die Ostseepipeline gehört somit zu den leistungsfähigsten Leitungen der Welt. Durch die Ukraine fließt zwar weiterhin über die Hälfte des russischen Exportgases, ihr Anteil ging aber deutlich zurück.

Der damalige russische Präsident Dmitri Medwedew schlug bereits zur Zeit der Fertigstellung der Pipeline durch das Verlegen eines dritten und vierten Strangs eine Verdoppelung ihrer Leitungsfähigkeit auf 110 Mrd. Kubikmeter vor. Hierauf wollte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel vor Jahren jedoch nicht einlassen.

Berlin hat seine Haltung mittlerweile revidiert und unterstützt die Verdoppelung, stößt hierbei jedoch auf den heftigen Widerstand einiger EU-Partner, z.B. Italiens. Auch die EU-Kommission ist entschlossen, Gazprom das Leben schwer zu machen. Zum einen wird politisch argumentiert: Ein noch weiter gehender Bedeutungsverlust der Ukraine als Transitland würde die Machtverhältnisse zwischen Kiew und Moskau verändern. Zudem sollte und könnte die EU ihre Gaseinfuhr von Russland weg-diversifizieren, da der aus Russland stammende Importanteil bereits zu hoch sei. Warum also sollte die Ostseepipeline erweitert werden? Zum anderen will die EU mit ihrem „Dritten Energiepaket“ für mehr Wettbewerb sorgen, nicht zuletzt auf dem Gasmarkt. Dies stößt auf heftigen Widerstand Moskaus, das einige neue EU-Regeln als dezidiert „anti-russisch“ deutet.

Die EU-Kommission hat bereits bewiesen, ein russisches Pipelinevorhaben verhindern zu können,south-stream-map-en nämlich die „South-Stream“.

Könnte Brüssel wiederum einen russisch geführten Leitungsbau verhindern? Die Kommission ist der Ansicht, hierfür eine rechtliche Handhabe zu besitzen, nicht jedoch ihre Rechtsabteilung, wie durch eine vermutlich gezielte Indiskretion an die Presse deutlich wurde. Der Konflikt in Brüssel ist bemerkenswert. Die EU-Juristen stellen ausdrücklich fest, dass sich ihre Rechtsauffassung mit derjenigen der Ostseepipelineeigentümer im Grundsatz deckt. Diese kommen aus Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Russland, „OMV“ aus Österreich will sich anschließen. Die Kommission bleibt bislang bei ihrer Auffassung, die Erweiterung von „Nord Stream“ widerspreche der EU-Gesetzgebung zur Marktliberalisierung.

Brüssel besaß hinsichtlich „South Streams“ faktisch ein Vetorecht, weil es über EU-Gebiet, über Land, verlaufen sollte, bspw. Bulgarien. Regelungen des „Dritten Energiepakets“ können nach Auffassung der Juristen der Kommission aber nicht auf Leitungen auf dem Meeresgrund angewendet werden.

Dies war bereits in der Vergangenheit nicht der Fall, z.B. hinsichtlich der „Green Stream“ (auf der Karte grün), der „Maghreb Pipeline“ (gelb) oder der „Transmed“ (violett). Auch die geplante „Galsi“-Leitung (orange) soll nicht dem „Dritten Energiepaket“ unterworfen sein.

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Stattdessen wird unter der Aufsicht der jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden in den verschiedenen Fragen internationales, europäisches oder nationales Recht angewendet. Nach Auffassung der Betreiber der Ostseepipeline und der Brüsseler Juristen könne man in einem ausgewählten Fall („Nord Stream“) nicht verweigern, was in anderen Fällen (z.B. „Galsi“) zugestanden worden sei.

Ich halte es für wahrscheinlich, aber nicht für sicher, dass die Pipeline erweitert werden wird. Die Realisierung wird nicht zuletzt von der politischen Großwetterlage abhängen. Der Plan, die Erweiterung bis 2019 umzusetzen wird sich vermutlich nicht realisieren lassen, denn die Widerstände sind groß.

Finanzielle Probleme dürfte es nicht geben, trotz des niedrigen Gaspreises, der Gazprom und Russland ernsthafte Sorgen bereitet. Die Baukosten der Ostseepipeline betrugen 7,4 Mrd. Euro, eine Erweiterung der Linie wird deutlich kostengünstiger und es werden jährlich bis zu zwei Mrd. US-Dollar Transitgebühren entfallen, die die Ukraine für die entsprechende Gasmenge erhielte. Für Kiew wird die Luft zunehmend dünner.

Die geplanten Baukosten der „TANAP-Pipeline“, die nur gut die Hälfte der Leistungsfähigkeit der bereits gelegten Stränge der Ostseepipeline besitzen wird, belaufen sich übrigens auf 11,7 Mrd. Euro.

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Pro Kilometer Transportleistung und Kubikmeter kostet der Pipelinebau für Gas aus Russland somit nur die Hälfte. Zudem fallen hierfür keine Transitgebühren an, im Gegensatz zum „TANAP“-Gas. Die Kosten-Nutzenrechnung für „Green-Stream“ fällt noch ungünstiger aus. Die Durchleitungskosten betragen etwa das Fünffache der Ostseepipeline.

Gazprom hat in den vergangenen Jahren an Effizienz und Erfahrung beträchtlich gewonnen: 2001/02 wurde die „Blue-Stream“-Pipeline zwischen Russland und der Türkei auf dem Grund des Schwarzen Meeres verlegt. Ein Pipelinekilometer des südlichen Abschnitts, der von einem italienisch-türkischen Konsortium gebaut wurde, soll nur halb so viel gekostet haben wie die nördliche Hälfte, für die Gazprom federführend war …

 

Quellenangaben:

Karte Ostseepipeline: https://en.wikipedia.org/wiki/de:Creative_Commons; https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.de; Samuel Bailey (sam.bailus@gmail.com)

Karte South Stream: http://www.gazprom.com/f/posts/83/786221/south-stream-map-en.jpg

Karte Leitungen durch das Mittelmeer: https://commons.wikimedia.org/wiki/Main_Page; https://creativecommons.org/licenses/by/3.0/deed.de

Karte TANAP: https://en.wikipedia.org/wiki/de:Creative_Commons; https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/deed.de; https://commons.wikimedia.org/wiki/User:Pechristener