Territoriale Konflikte über Landflächen in der Arktis gibt es nicht, von unbedeutenden Sonderfällen abgesehen. Die maritimen Grenzen – um diese gehe es beim Nordpol – hingegen sind nicht abschließend geklärt. Küstenstaaten besitzen bis zu einer Entfernung von 200 Seemeilen (also etwa 370 km) von ihrer Küste entfernt exklusive Rechte, beispielsweise zur Ausbeutung von Bodenschätzen. Wenn ein Staat Meeresflächen, die über diese 200 Seemeilen hinausreichen für sich beanspruchen möchte, kann er einer UN-Kommission Belege unterbreiten (die sehr detailliert sein müssen), dass diese Gebiete geologisch betrachtet eine Fortsetzung seines Festlandssockels bilden. Falls die Kommission überzeugt wird, können dem betreffenden Staat weitere Meeresflächen zur exklusiven Nutzung übereignet werden.
Diese Möglichkeit gibt es erst seit einigen Jahren. Sie liegt nicht im Interesse Deutschlands und der Mehrzahl der anderen Staaten dieser Welt, die entweder keine oder nur eine kurze Meeresküste besitzen. Aber sie ist geltendes Völkerrecht. – Sollten die offenen Meere nicht als gemeinsames Erbe der Menschheit gelten? – In der Arktis (wie auch den anderen Ozeanen) gibt es einige Millionen Quadratkilometer Meeresboden, die bislang keinem Land zugeordnet sind.
Russland hat vor kurzem bei der UN einen entsprechenden Antrag eingereicht. Moskau wünscht exklusive Rechte in einem 1,2 Millionen Quadratkilometer umfassenden Meeresgebiet, zu dem auch der Nordpol gehört.
Dänemark war noch ein bisschen schneller, Kopenhagen hat bereits 2014 Ansprüche auf ebenfalls 1,2 Millionen Quadratmeter angemeldet. Sie reichen, anders als die russischen Ansprüche, etwas extravagant sogar noch über den Nordpol hinaus …
Auch Kanada hat angekündigt, Ansprüche zu erheben. Die USA, die dank Alaskas Nordpolanrainer sind, täten dies vermutlich auch liebend gern. Sie haben, anders als 162 Staaten dieser Welt, die „Seerechtskonvention“ jedoch nicht unterzeichnet, sodass sie bislang diese Möglichkeit gar nicht besitzen.
Es gibt widerstreitende Interessen zwischen den Arktisanrainern. Sie haben nichts mit Ost-West-Kontroversen zu tun. Ernsthafte Konflikte zwischen den fünf Ländern (Dänemark, Kanada, Norwegen, Russland, USA) gibt es nicht, sie sind auf absehbare Zeit auch nicht zu erwarten. Diese fünf Länder verbindet im Gegenteil mehr als sie trennt, sie haben ein gemeinsames starkes Interesse, die arktischen Gebiete möglichst weitgehend unter sich aufzuteilen und potenzielle Konkurrenten auszuschließen. Darum werden die fünf sich hüten, ernsthafte Konflikte untereinander um die Arktis auszutragen. Denn dies würde die Kritiker der Aufteilung der Weltmeere stärken.
Man kann gleichwohl geradezu von einem „Wettlauf um die Arktis“ sprechen. Er wurde durch die oben skizzierten noch recht jungen völkerrechtlichen Möglichkeiten ausgelöst. Und die Erwärmung der Nordpolarregion. In der Ende 2014 verabschiedeten russischen Militärdoktrin geht es erstmals um die Wahrung der nationalen Interessen in der Arktis. Dies ist nachvollziehbar. Bislang gab es wenig Anlass, der Nordgrenze Russlands Aufmerksamkeit zu widmen. Das ewige Eis war ein hinreichender Schutz. Diese Sicherheit schmilzt dahin. Russland verstärkt darum seine Militärpräsenz in der Region, wie auch die anderen Staaten. Von einer Aufrüstung kann keine Rede sein, es geht eher darum, überhaupt Präsenz zu zeigen, auch aufgrund der Absicherung des stark zunehmenden zivilen Seeverkehrs in der Nord-Ost-Passage.
Und Moskau geht es darum, Claims abzustecken, wie auch den anderen Anrainern. In dem Meeresgebiet, auf das Russland Ansprüche erhebt, dürften sich Erdöl- und Erdgasvorkommen im Wert von hundert, wenn nicht tausenden Milliarden Euro befinden. Auf absehbare Zeit werden sie nicht gehoben werden. Andere Reserven lassen sich weit kostengünstiger erschließen. Aber in einigen Jahrzehnten könnte das anders sein. Dies sieht man in Kopenhagen oder etwa Ottawa ähnlich.
(Zum Thema s. auch www.cwipperfuerth.de/2013/07/die-arktis-ein-neues-konfliktfeld-zwischen-dem-westen-und-russland)