Romano Prodi (EU-Kommissionspräsident von 1999 bis 2004) versprach, ab 2008 würden Bürger Russlands kein Visum für eine Reise in die EU mehr benötigen. Umgekehrt sollte natürlich dasselbe gelten. Zum einen zögerte jedoch Russland, vom Westen geforderte Sicherheitsanforderungen umzusetzen, zum anderen gab es Bremser in der EU, nicht zuletzt Deutschland: Im Vorfeld der Bundestagswahlen 2005 waren erhebliche Unregelmäßigkeiten bei der Erteilung von Visa durch die deutsche Botschaft in der Ukraine bekannt geworden. Der Vorgang hatte erhebliche Wellen in der Presse geschlagen. Einige Beobachter meinten, der Skandal habe zu der knappen Niederlage von rot-grün bei den Wahlen beigetragen. Dies ist vermutlich übertrieben, aber die deutschen Innenpolitiker waren seitdem überaus vorsichtig in der Visafrage geworden.
Menschenrechtsorganisationen und etwa der „Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft“ drängen seit langem, die Visumspflicht zwischen Deutschland und Russland abzuschaffen. Bürger Brasiliens beispielsweise können ohne ein Visum in den Schengen-Raum einreisen, warum nicht auch Russen? Aus Russland kommen nicht nur die mit großem Abstand meisten Visumsanträge, zudem wird nur ein geringer Prozentsatz der Anträge abgelehnt.
(Quelle: Europäische Kommission, Generaldirektion für Inneres, http://ec.europa.eu/dgs/home-affairs/what-we-do/policies/borders-and-visas/visa-policy/docs/overview_of_schengen_visa_statistics_2011_final_en.pdf, in: Ukraine-Analysen NR. 118, 11.06.2013, S. 13; European Commission, Directorate-General Home Affairs, Overview of Schengen Visa Statistics, 2009-20012, S. 17)
2011 wurden erhebliche Fortschritte zwischen der EU und Russland in den Visaverhandlungen erzielt, zu einer Einigung kam es aber nicht. Die Kanzlerin selbst gab zu: „Deutschland bremst, nicht Europa.“ Nach ihrer Auffassung sollte „Schritt für Schritt“ vorgegangen werden. Man bewegte sich in den folgenden zwei Jahren aber letztlich auf der Stelle.
Als Reaktion auf den russischen Handstreich auf der Krim setzte die EU im März 2014 die Verhandlungen mit Russland über Visa-Erleichterungen sogar völlig aus. Sogar der im vergangenen Dezember verstorbene Andreas Schockenhoff, der sich vor allem kritisch gegenüber Russland geäußert hatte, forderte im Sommer 2014 eine Aufnahme der Verhandlungen und Visa-Erleichterungen. Diese gab es jedoch nicht. Sie sind auch nicht absehbar.
Es sieht vielmehr danach aus, dass es weitere Rückschritte geben wird. Der „Bund der Deutschen-West-Ost-Gesellschaften“ erklärte: „Ab dem 14. September 2015 <werden> russische Bürger ab 12 Jahren für den Erhalt eines Visums (…) persönlich in den deutschen Konsulaten und Visazentren vorstellig werden müssen, um die Abdrücke aller Finger abzugeben. Damit wird die Bürgerbegegnung im höchsten Maße erschwert und der Schüler- und Jugendaustausch nahezu unmöglich gemacht.“ (http://www.drfg-th.de/index.php?menuid=93&reporeid=508) Denn für die Mehrzahl der Russen sind die Vertretungen Deutschlands Reisen entfernt die viele Stunden, wenn nicht Tage in Anspruch nehmen.
Die deutsche Seite fordert vehement, den offiziösen Charakter der „Petersburger Gespräche“ zugunsten eines deutlich stärkeren Austauschs der Zivilgesellschaften zu verändern, auf der anderen Seite wird dieser aber weiter erschwert? Das passt nicht zusammen.