Versucht Russland einen Keil in die EU zu treiben? Manche Beobachter verfechten diese Ansicht mit großem Nachdruck. Die Fakten deuten eher in eine andere Richtung:
1. Nicht etwa Moskau ist auf Athen zugegangen, sondern Griechenland auf Moskau. Griechenland versucht den Eindruck zu erwecken, eine andere Option zu besitzen als sich den Vorstellungen der Kreditgeber zu beugen. Dies ist aus realpolitischer Sicht nachvollziehbar, aber ein sehr ungewöhnlicher Schritt eines der langjährigsten Mitglieder westlicher Organisationen. Russland (und auch China) aber zeigte sich nicht bereit, als Sponsor zu agieren.
2. Die anhaltenden Zentrifugaltendenzen innerhalb der EU besitzen aus russischer Sicht aber den Vorzug, dass Brüssel weniger Energie auf eine Ausweitung Richtung Osten verwenden kann als dies ansonsten womöglich der Fall wäre. Russland nutzt durchaus die Schwäche des Westens, um den eigenen Handlungsspielraum zu erweitern. Dies betrifft den Nahen Osten, aber auch Griechenland. Ein stabiles Griechenland hätte die jüngste Vereinbarung mit Russland zum Pipelinebau womöglich nicht beschlossen.
(Quelle: Euxeinos 18 / 2015, S. 20)
(Die Karte ist von „Gazprom“, und zum angegebenen Status der Krim ließe sich einiges sagen …)
3. Andererseits stellen die EU-Länder weiterhin mit weitem Abstand die wichtigsten Handelspartner und Auslandsinvestoren Russlands. Bei größeren Turbulenzen innerhalb der EU drohen somit negative Rückwirkungen auf Russland selbst. Zudem würde eine Schwächung der EU zu einem wachsenden US-Einfluss in Europa führen, was nicht in russischem Interesse wäre. Eine wankende EU kann Moskau nicht wünschen. Die Probleme des Westens werden in Russland gleichwohl mit einer gewissen Schadenfreude registriert.
4. Durch die Griechenlandkrise sind die sehr tiefgreifenden strukturellen Probleme des Euroraums und der EU deutlich geworden. Die Krise ist hausgemacht. Brüssel fordert eine deutliche Vertiefung der Integration, um der Krise Herr zu werden. Andere hingegen eine Rückverlagerung von Kompetenzen an die EU-Mitgliedsstaaten. Und die Verfechter nationalstaatlicher Lösungen sind seit Jahren in der Offensive. Dies zeigen nicht nur Wahlergebnisse, sondern z.B. auch das Management der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09, bei denen die EU keine zentrale Rolle spielte. In den EU-Ländern ist die Skepsis gegenüber der EU in den vergangenen Jahren gestiegen, auch in Deutschland.
(Quelle: http://www.tagesschau.de/inland/deutschlandtrend-339~magnifier_pos-3.html)
5. Die Wahrscheinlichkeit, dass Russland „Griechenland aus dem Westen heraus kauft“ war und ist sehr gering. Dies zeigte bereits das Beispiel Zyperns 2013: Die zypriotische Regierung bemühte sich sehr um russische Hilfsmittel, um die drohende Finanzkatastrophe abzuwenden. Aus russischer Sicht sprachen einige Faktoren dafür, auf die Bitten einzugehen: Einlagen von russischen Bürgern und Unternehmen in zweistelliger Euro-Milliardenhöhe drohten im Fall der Zahlungsunfähigkeit Zyperns verloren zu gehen – dies ist bei Griechenland aus russischer Sicht nicht der Fall. Und es bestand eine gewisse Aussicht, Hafenrechte für die russische Mittelmeerflotte im nicht-NATO-Mitgliedsland Zypern zu erwerben. Im Falle Griechenlands kann auch hiervon keine Rede sein. Moskau kam aber nicht zur Hilfe. Zudem befindet sich Russland heutzutage in einer finanziell deutlich angespannteren Situation als 2013 und Russland müsste noch mehr Mittel bereitstellen als im Falle Zyperns.
Die Schwäche des Westens ermöglicht Russland taktische Gewinne. Diese würde Moskau auch anstreben, wenn die Beziehungen mit dem Westen kooperativ wären. Das ist Realpolitik. Realpolitik ist aber auch, dass Russland keineswegs ein Zerbrechen der EU beabsichtigt. Und auch nicht über die entsprechenden Mittel verfügt.