Sanktionen gegen Russland sind eine Sackgasse

Die vom Westen bislang verhängten Maßnahmen (Aussetzung von Gesprächen, Einreiseverbote gegen einige Dutzend Personen) sind symbolischer Natur. Sie üben gleichwohl eine erhebliche Wirkung aus und könnten eine Eskalationsspirale in Gang gesetzt haben:

Westliche Investoren werden in Zukunft allein aufgrund des erhöhten politischen Risikos vorsichtiger mit einem Engagement in Russland sein. Bereits dadurch wird sich das Wirtschaftswachstum in Russland merklich abschwächen. Aber auch Russen – und andere, die aus potenziell unliebsamen Ländern kommen, wie etwa China – werden sich in Zukunft sehr genau überlegen, wo sie ihr Geld anlegen. Allein in der Woche vor dem 12. März haben Ausländer ihr Engagement in US-Staatsanleihen um 105 Mrd. Dollar reduziert.

Es könnte für Russland noch viel schmerzhafter werden, falls die Sanktionen in Zukunft verschärft werden sollten. In diesem Fall dürfte Moskau mit gezielten Gegenmaßnahmen antworten, die erhebliche Konsequenzen besitzen könnten: Es wäre peinlich für die USA, wenn die Russen sie nicht mehr zur Internationalen Weltraumstation mitnähmen wie bisher. Dann müssten die Astronauten nämlich auf der Erde bleiben. Es wäre problematisch, wenn Russland die Ausfuhr von Titan reglementieren würde. Der Flugzeugbauer „Boeing“ bezieht  40% dieses Metalls aus Russland. Insbesondere deutsche Unternehmen dürften in Russland Schwierigkeiten bekommen. Sie haben dort so viel direkt investiert wie ihre Konkurrenten aus den USA, China, Japan, Frankreich, Großbritannien und Italien zusammen genommen. Und nicht nur der Westen, sondern die gesamte Welt stünde am Rand einer Katastrophe, wenn russische Unternehmen nicht mehr bereit oder in der Lage wären, ihre Auslandsverbindlichkeiten in Höhe von 650 Mrd. Dollar zu begleichen. Dies könnte einen Dominoeffekt mit  ähnlichen Wirkungen auslösen wie die Lehmann-Pleite 2008, die zur Weltfinanz- und Wirtschaftskrise führte.

Eine dramatische Zuspitzung der Situation ist derzeit unwahrscheinlich, sie bleibt aber möglich. Die Märkte rechnen nicht mit einer möglichen Gefährdung russischer Energieimporte. Die Öl- und Gaspreise haben sich in den vergangenen Wochen kaum verändert. Aber bereits mit den verhängten, symbolischen Sanktionen könnte eine Eskalationsspirale in Gang gesetzt worden sein, die sich nur noch schwer stoppen lässt.

Die Erfahrung und die Vernunft sprechen gegen die Strafmaßnahmen. Sie haben auch in der Vergangenheit (selbst gegenüber weiter weniger bedeutenden Ländern) nur selten zum Ziel geführt, besitzen aber häufig nicht beabsichtigte negative Rückwirkungen. Warum sind die Sanktionen überhaupt verhängt worden?

Dafür spricht: Russlands Vorgehen in der Krimfrage mag den Interessen der großen Mehrheit der Bewohner der Halbinsel entsprechen, es widerspricht aber dem Völkerrecht. Und dieser Völkerrechtsbruch wiegt aus verschiedenen Gründen schwerer als der US-Angriff auf den Irak 2003 oder etwa die NATO-Luftangriffe in Libyen 2011.

Andererseits scheinen viele Sanktionsverfechter gegenüber Russland ganz grundsätzlich ungewöhnlich voreingenommen zu sein. So erklärte bspw. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am 21. März 2014, Russland habe Georgien 2008 angegriffen. Rasmussen Ansicht dürfte im euro-atlantischen Raum überwiegen. Tatsache ist jedoch, dass Georgien den Krieg begann. Russland hat reagiert, dies war und ist auch nicht nur die offizielle Haltung der deutschen Bundesregierung, sondern auch diejenige der EU-Untersuchungskommission, die auf deutsche Initiative einberufen worden war.

Die Sanktionsbefürworter haben es in der Vergangenheit meist abgelehnt, mit Russland, dem grundsätzlich nicht zu trauen sei, überhaupt ernsthafte Gespräche zu führen, bei denen ein Kompromiss gefragt sein könnte. Drei Beispiele seien genannt: 2008 schlug der damalige Präsident Dmitri Medwedew Verhandlungen über eine gesamteuropäische Sicherheitsordnung vor. Seit 2011 regte Russland mehrfach die Schaffung eines gesamteuropäischen Wirtschaftsraums an. (Der auch die Ukraine von dem Dilemma erlösen würde, sich für Ost oder West entscheiden zu müssen.) Und zwischen November 2013 und Februar 2014 bekundete Moskau seine Bereitschaft, gemeinsam mit Kiew und Brüssel über Perspektiven für die Ukraine zu sprechen.

Berlin bekundete zu allen drei genannten Vorschlägen Gesprächsbereitschaft, der Westen bzw. die EU in ihrer Gesamtheit jedoch nicht. Es ist keineswegs sicher, ob die Vorschläge des Kremls ernst gemeint waren, denn Russland wurde nicht beim Wort genommen. Es fanden keine ernsthaften Gespräche statt. Chancen für einen Ausgleich wurden vertan.

Die westlichen Verfechter von Sanktionen erwecken auch nicht den Eindruck, es gehe ihnen um die Ukraine, dessen Bewohner oder die Krim. – Denn die westlichen Hilfszusagen machen sich bescheiden aus. Sie bleiben hinter dem zurück, was Russland der Ukraine im Dezember 2013 angeboten hat. – Das Ziel scheint zu sein: Russland soll bestraft und ausgegrenzt, nicht etwa konstruktiv eingebunden werden.

Wem nutzt die Eskalationsspirale? Zum Beispiel: Innerhalb der Ukraine einigen Oligarchen, die sich auf die „richtige Seite“ geschlagen haben und nun gar mit einem Heiligenschein versehen weiter im Trüben fischen können. In Russland den „Falken“, die darauf verweisen können, dass der Westen gegenüber ihrem Land negativ voreingenommen sei. Und bspw. China, das im Schatten des westlich-russischen Streits seinen Einfluss weiter ausweiten kann.

Wir brauchen Gespräche, keine Sanktionen.

2 Gedanken zu „Sanktionen gegen Russland sind eine Sackgasse“

  1. Sehr geehrter Herr Prof. Wipperfürth,

    in Ihrer Analyse fehlt eine Bewertung der Krimannektion im Kontext der russischen Außenpolitik. Nach dem was ich gelesen habe beinhaltet diese eine Art Neu-Auflage der Breschenew-Doktrin für die Ex-SU-Staaten. Im März 1996 beschloss die Duma eine Wiederherstellung der Sowjet-Union. Davor und danach gab es in Reden und Aktion viele Indizien dafür, dass Russland die Unabhängigkeit der Ex-SU-Staaten nicht vorbehaltlos akzeptiert.

    Was, wenn in der Krim-Annektion offen ausbrach, was in der Außenpolitik Russlands schon seit Jahren latent angelegt ist. Wenn es also um den ersten Schachzug in einer etwas längeren Schachpartie geht? Entsprechende konkrete Andeutungen bezüglich der Ostukraine wurden ja schon gemacht.

    Sie beschreiben nur die Risiken der Sanktionen. Sie legen weder die Grundlagen und Annahmen für Ihre Einschätzungen offen, noch beschreiben Sie die Risiken der politischen Alternativen zum aktuellen Kurs der EU und USA. Erst in der Abwägung der Risiken der gegebenen Optionen ist eine vernünftige Bewertung möglich.

    MfG
    Helmut Suttor

    1. Sehr geehrter Herr Suttor,
      haben Sie Dank für Ihren Kommentar!
      Es gab seit 1993 unzählige Anzeichen für eine imperiale Politik Russlands. Aber es handelte sich im Grundsatz lediglich um Worte. Russland war auf sich selbst bezogen. Russland wünschte Prestige und Anerkennung, einen steigenden Einfluss wünschte es im Grunde nicht. Denn dieser war mit Verantwortung und potenziell hohen Kosten verbunden, die Moskau scheute. Beispiele sind die Weigerung Russlands, Usbekistan 2005/06 bindende Sicherheitsgarantien zu geben. Russland wollte 2011 auch nicht in Kirgisitan eingreifen, obwohhl die kirgisische Präsidentin den Kreml darum bat und der Westen Zustimmung signalisierte.
      Auch die Struktur der Zollunion (Kasachstan, Russland, Weißrussland) spricht dagegen, dass Moskau eine imperiale Aganda verfolgt, da Entscheidungen nur einmütig getroffen werden können. Russland besitzt als der mit weitem Abstand bedeutendste Mitgliedsstaat nicht die Möglichkeit, seinen Willen durchzusetzen.
      Der Kreml besaß zumindest bis vor kurzem keine imperiale Agenda. Es gibt zu viele Indizien, die dagegen sprechen. Gleichwohl können wir nicht gänzlich ausschließen, dass dies nunmehr der Fall ist. Ebenso kann Russland nicht ausschließen, dass der Westen Russland vollends isolieren und durch Raketenabfangsysteme wehrlos machen will.
      Also müssen beide Seiten miteinander reden. Und deeskalieren. Die Sanktionen verschärfen die Lage, sie sind keine Lösung, sondern ein Problem.
      Vielleicht mögen Sie sich weitere Blogbeiträge von mir ansehen? Dort könnten Sie meine Thesen intensiv erläutert und illustriert finden.
      Es grüßt Sie
      Christian Wipperfürth

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