Nach dem Waffengang vom August 2004 gab es hoffnungsvolle Anzeichen für eine Entspannung der georgisch-russischen Beziehungen. So besuchte der russische Außenminister Sergei Lawrow Anfang 2005 Tiflis. Die Zukunft der beiden russischen Basen auf georgischem Territorium blieb jedoch ein Streitpunkt. Moskau erklärte weiterhin und wiederum, zur Schließung bereit zu sein, spielte jedoch auf Zeit, um ein (vermeintliches) Faustpfand nicht ohne Gegenleistung aus der Hand zu geben. Nino Burdschanadse, die Sprecherin des georgischen Parlaments erklärte wenige Tage nach der Abreise Lawrows, dass ihr Land die Stützpunkte für illegal erklären könnte, wenn nicht bald ein Zeitplan für ihre Schließung vereinbart werde. Nun schien es Moskau erforderlich, einen Warnschuss abzugeben, und Präsident Putin empfing Sergei Bagapsch, den Präsidenten der international nicht anerkannten Republik Abchasien.
Nach einigem weiteren hin und her erklärte Präsident Putin im Mai 2005, dass er in einen raschen Rückzug der Einheiten einwilligen könne – jedoch nur, wenn kein anderes Land Russlands Platz einnehme. Unmittelbar darauf einigten sich beide Seiten. Die Auflösung der Basen sollte bereits im Jahre 2005 beginnen und 2008 abgeschlossen sein. Georgien stellte fest, dass die Lösung dieser Frage die Herstellung freundschaftlicher Beziehungen erleichtern werde, und in der russischen Stellungnahme wurde auf die jahrhundertealte russisch-georgische Freundschaft verwiesen. Es stand aber bereits zu diesem Zeitpunkt zu befürchten, dass die Einigung paradoxerweise die Spannungen zwischen beiden Ländern nicht vermindern, sondern tendenziell vermehren wird. Tiflis konnte sich durch seinen Sieg ermutigt fühlen, jetzt noch mehr Druck in der Abchasien- und Südossetienfrage auszuüben. Von Moskau konnte man erwarten, dass es in Zukunft weniger konziliant sein würde, sondern eher von der georgischen Seite Signale des Entgegenkommens erwartete. Beide Seiten machten Vorbehalte bezüglich guter Beziehungen. Georgien formulierte: „Wir werden echte Freunde, wenn …“, Russland hingegen beharrte auf einem „wenn wir Freunde sind, dann …“.
Anfang 2006 erklärte der aus Südossetien stammende Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili, dass er das kommende Neujahr in der Hauptstadt Südossetiens feiern werde. Einige Tage später ergänzte er, dass die „Stoppuhr laufe“ für die Wiederherstellung der Einheit Georgiens. Präsident Putin versuchte, Georgien durch eine Politik von Zuckerbrot und Peitsche zu einer aus russischer Sicht konstruktiven Politik des Dialogs zu veranlassen. Einerseits erklärte er auf einer Pressekonferenz am 31. Januar: „Wenn jemand denkt, dass dem Kosovo die volle staatliche Unabhängigkeit gewährt werden kann, warum sollten dann die Abchasen oder die Südosseten nicht auch ein Recht auf Staatlichkeit besitzen? Ich sage nicht, dass Russland umgehend Abchasien oder Südossetien als unabhängige Staaten anerkennen würde, doch internationale Beispiele hierfür gibt es. Ich äußere mich nicht dazu, ob diese gut oder schlecht sind. Aber wir brauchen allgemein akzeptierte universelle Prinzipien für die Lösung solcher Probleme.“
Es war das erste Mal, dass der russische Präsident den Status des Kosovo mit den genannten Konflikten im postsowjetischen Raum in Verbindung brachte. Tiflis musste dies als Drohung auffassen, zumal die georgische Führung seit langem bei jeder sich bietenden Gelegenheit betonte, dass sie gegen eine Unabhängigkeit des Kosovo sei und dieser Teil Südosteuropas mit den Konflikten im GUS-Raum nicht vergleichbar wäre. Kurz auf diesen Schreckschuss gab Putin ein Signal des Entgegenkommens und erklärte, dass Saakaschwili eine Entwicklung der Beziehungen mit Russland wünsche.
Georgien schürte aber die Spannungen um Südossetien, so wurde das georgische Militärkrankenhaus unmittelbar an die südossetische Grenze verlegt. Mit Abchasien fanden im Frühjahr 2006 jedoch konstruktive Gespräche statt. Im Mai kam erstmals seit über vier Jahren der georgisch-abchasische Koordinationsrat wieder zu einer Sitzung zusammen. Er war 1997 unter Vermittlung der UNO eingerichtet worden. Die georgisch-abchasischen Verhandlungen brachten in den Bereichen wirtschaftliche Zusammenarbeit, Sicherheitsgarantien und Rückkehr von Flüchtlingen zwischen Mai und Juli 2006 einige Fortschritte. Heide Tagliavini, die Sondergesandte des UN-Generalsekretärs für Abchasien, erklärte im Sommer 2006, dass ohne die Anwesenheit russischer Truppen die Situation außer Kontrolle zu geraten drohe.
Im Sommer 2006 trafen sich Putin und Saakaschwili in St. Petersburg. Georgiens Präsident war in seinen Komplimenten für die Heimat des Gastgebers nicht zu bremsen. Die beiden Präsidenten vermochten aber nicht, aus der Sackgasse, in der sich die zweiseitigen Beziehungen befinden, herauszufinden. Am Tag des Treffens wurde ein georgischer Polizeiposten 400 Meter näher an ein südossetisches Dorf herangeschoben und georgische Spezialeinheiten rückten ein. Die Situation eskalierte zeitweise, und das Parlament Nordossetiens verabschiedete eine Resolution, die den „Brüdern in Südossetien“ im Notfalle jede Art von Hilfe zusagte. Diese Zuspitzung der Situation ging entweder von Okruaschwili aus oder war in der georgischen Führung sogar abgestimmt: Südossetien sollte durch eine scheinbare Annäherung von Georgien auf der einen sowie Abchasien und Russland auf der anderen Seite seine bedrängte Lage demonstriert bekommen und konzessionsbereit gestimmt werden.
Am 5. Juli traf sich Saakaschwili mit dem US-Präsidenten im Weißen Haus. Georgien wurde in der Pressemitteilung der amerikanischen Präsidialverwaltung als „Schlüssel-Verbündeter in einer wichtigen Region“ bezeichnet. Die Bedeutung, die die USA dem Land beimessen, wurde auch an der mit 650 Mitarbeitern üppigen personellen Ausstattung der Botschaft in Tiflis deutlich.
Die offiziöse „Rossiskaja Gazeta“ meldete kurz darauf, dass ein hochrangiger Vertreter des russischen Außenministeriums und der stellvertretende Kommandeur des russischen Heeres auf dem Weg von Tiflis nach Südossetien gewesen seien, um an den Feierlichkeiten aus Anlass des 14. Jahrestages der Einrichtung der Friedenstruppen teilzunehmen. Augenzeugen berichteten, dass die georgische Polizei die Straße sperrte, und direkt vor dem Konvoi mehrere Salven in die Luft feuerte. Die Georgier hätten die Russen bedroht, ihnen die Pässe abgenommen und die Fahrzeuge durchsucht. Auf der Rückfahrt nach Tiflis habe der Vorgang auf ähnliche Weise wiederholt.
Russland reagierte mit immer schärferen Drohungen. Außenminister Lawrow warnte Georgien, dass Russland „alle zur Verfügung stehenden Mittel“ nutzen werde, um die russischen Bürger in den abtrünnigen Gebieten zu schützen. Russland drohte Georgien erstmals von höchster Stelle kaum verhohlen mit Krieg, falls es gegen die abgespaltenen Gebiete Gewalt anwenden sollte.
Wenige Tage später, Ende Juli, rückten 500 georgische Soldaten mit gepanzerten Fahrzeugen in die entlegene Kodorischlucht ein. Diese bildet 17% des Territoriums Abchasiens, wurde jedoch nicht von diesem regiert. (Das Kodorital befindet sich im oberen Teil der Karte etwas links non der Mitte.)
(Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/3/3b/
Georgia_topographic_map-de.svg/2000px-Georgia_topographic_map-de.svg.png)
Die im Tal lebenden 2000 Swanen sind Georgier mit stark entwickeltem Eigenbewusstsein und unterstanden nie einer Zentralmacht, was in Anbetracht der Unzugänglichkeit des Gebiets nicht verwundert. (Das folgende Foto zeigt ein Gebiet aus einem etwa östlicher gelegenen Teil Swanetiens.)
(Quelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:VittfarneGeorgien_155.jpg)
Die Bevölkerung des Kodoritals gedachte ihre Autonomie zu bewahren. Die georgischen Truppen hatten jedoch ein leichtes Spiel, und es wurde nur wenig Blut vergossen.
Tiflis behauptete, dass Moskau den Separatismus im Kodorital unterstützt habe. Dies ist jedoch wenig wahrscheinlich. Falls Moskau oder Abchasien die Finger im Spiel gehabt hätten, wären die Swanen sicher nicht so leicht zu besiegen gewesen. Die Ursachen der Zuspitzung der Situation lagen im Innern Georgiens: Der georgische Zentralstaat war in den vorhergehenden Jahren stärker geworden, und die Führung in Tiflis zeigt grundsätzlich wenig Verhandlungsbereitschaft mit Vertretern abweichender Ansichten.
Georgien bezeichnete das Vorgehen als Polizeiaktion, obwohl der Verteidigungsminister anwesend und zahlreiche Soldaten beteiligt waren. UN-Beobachter in Abchasien erklärten öffentlich, dass Georgien das Friedensabkommen von 1994 verletzt habe.
Der US-Sondergesandte Matthew Bryza hingegen erklärte die Maßnahmen für rechtmäßig und fügte hinzu, er hoffe, dass „alle anderen Konflikte auf georgischem Territorium so friedlich wie derjenige in Kodori gelöst werden“. (Quelle Bild Bryza: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/72/Matthew_Bryza.jpg)
Dies konnte die georgische Seite, und insbesondere Okruaschwili, als Einladung verstehen. Präsident Saakaschwili benannte das Gebiet am 13. Jahrestages des Ende des abchasisch-georgischen Krieges demonstrativ in Ober-Abchasien um.
Das Tauwetter zwischen Georgien und Abchasien war nun endgültig beendet. Von nordkaukasischen „Brudervölkern“ trafen Zusagen ein, im Falle eines Krieges Abchasien bewaffnete Unterstützung zu leisten, und Letzteres kündigte Militärübungen an, um seine Abwehrbereitschaft zu demonstrieren.
Georgien zogen danach Truppen in der Nähe der beiden abtrünnigen Gebiete zusammen. Der georgische Minister für Konfliktregelung, Giorgi Chaindrawa, wurde am 21. Juli nach einem Streit mit Verteidigungsminister Okruaschwili entlassen, was als Sieg der „Kriegspartei“ gewertet wurde. Die Außenminister Abchasiens und Südossetiens bedauerten die Entlassung Chaindrawas.
Die amerikanische Seite begann Tiflis ungewohnt deutlich zu warnen. Matthew Bryza führte Anfang August Gespräche in Tiflis, u.a. mit Präsident Saakaschwili. Er sagte, dass Georgien jedes Anzeichen vermeiden solle, je zu gewaltsamen Maßnahmen zu greifen. Georgiens Vorgehen in der Kodorischlucht nannte er nunmehr lediglich „im Großen und Ganzen“ legitim.
Auch die russische Seite versuchte, die Wogen zu glätten. Der stellvertretende russische Außenminister Grigori Karasin führte etwa zeitgleich mit dem Georgienbesuch Bryzas Gespräche in Abchasien. Karasin betonte, dass Russland die Wiederaufnahme des UN-geführten Verhandlungsprozesses zwischen Abchasien und Georgien befürwortet. Abchasien hatte erst wenige Tage zuvor die Teilnahme an den Gesprächen nach den Ereignissen um die Kodorischlucht abgelehnt. Georgien setzte weiter auf eine Politik der militärischen Stärke, und der Präsident ordnete eine Verdopplung der Anzahl der Reservisten der Streitkräfte auf 100.000 Mann an.
Putin wiederholte am 10. September seine Position, dass die Unabhängigkeit des Kosovo ein nicht willkommener Präzedenzfall für die „eingefrorenen Konflikte“ sei. Dies war einerseits eine kaum verhohlene Drohung an die georgische Seite, aber zudem ein Signal, dass Moskau keine Eskalation der Situation wünschte. Die EU betonte Mitte September nochmals ihre Anerkennung der territorialen Integrität Georgiens. Jede Lösung der Südossetienfrage müsse allerdings die Interessen der in der Region lebenden Menschen berücksichtigen. Die EU kritisierte die steigenden Rüstungsausgaben im Südkaukasus und konstatierte, dass jedes Volk ein Recht auf Selbstbestimmung besitze, ebenso wie jedes Land auf territoriale Integrität. Brüssel rückte von seiner vorherigen Parteinahme für die georgische Seite ab, und bezog eine neutralere Position, die sich von der russischen nicht grundsätzlich unterschied.
Am 19. September schloss Russland seinen Abzug schwerer Militärtechnik aus Georgien ab. Am folgenden Tag warf Präsident Saakaschwili Russland jedoch eine „Gangster-Okkupation“ von Teilen seiner Nation vor. Südossetien beschuldigte zeitgleich georgische Truppen, auf Südosseten gefeuert und zwei Soldaten verwundet zu haben. Tiflis sah hingegen die Verantwortung für den Schusswechsel auf südossetischer Seite, obwohl keine Georgier verletzt worden waren.