Russlands Intervention in Syrien: Gut oder schlecht?

Betreibt Russland eine brutale Machtpolitik, oder ist das russische Eingreifen grundsätzlich positiv?

Bevor Russland militärisch direkt eingriff, standen die syrischen Regierungstruppen vermutlich vor entscheidenden Niederlagen. Hiervon hätten die Menschen in Syrien nicht profitiert. Es wäre kein Sieg der gemäßigten syrischen Opposition gewesen, denn sie ist zutiefst zerstritten, sondern ein Triumph der Extremisten der al-Nusra-Front und des IS.

Carla del Ponte, schweizerisches Mitglied der UN-Kommission zur Menschenrechtslage in Syrien, begrüßt die russische Intervention grundsätzlich, wenngleich Russland „ein bisschen zu wenig zwischen Terroristen und anderen“ differenziere. Del Ponte war zwischen 1999 und 2007 Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs für die Verbrechen im ehemaligen Jugoslawien. Auch etwa der katholische Bischof Aleppos begrüßt die russischen Luftangriffe. Die syrische Führung wird von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung unterstützt, teils aus Überzeugung, teils weil Assad einer Herrschaft von Extremisten zu bevorzugen ist.

Russland spricht seit vielen Monaten wiederholt mit Vertretern der gemäßigten syrischen Opposition, auch in Moskau. Gleichwohl gibt der Kreml durchaus Anlass für den Vorwurf, sämtliche Gegner der syrischen Führung als „Terroristen“ zu betrachten. Der Westen wiederum verrannte sich in einer einseitigen Verurteilung Assads und ermöglichte faktisch den Vormarsch der Terroristen.

Die russische Syrienpolitik ist letztlich angemessener als die westliche der vergangenen fünf Jahre. Das ist beunruhigend, denn in der westlichen Syrienpolitik wird ein Symptom deutlich, an dem der Westen in zunehmenden Bereichen seit Jahren krankt: Es wird in wachsendem Maße auf das Wünschenswerte, in abnehmendem jedoch auf das Mögliche oder die wahrscheinlichen Auswirkungen der Politik geschaut. Deutungshoheit haben diejenigen, die die eine Orientierung des Handelns an der Moral fordern, ohne jedoch die Konsequenzen dessen hinreichend zu berücksichtigen. Diese scheinbar wertorientierte Politik hatte nicht selten unmoralische Konsequenzen, etwa in Libyen seit 2011.

Russland verfolgt machtpolitische Ziele. Selbstverständlich. Alles andere wäre für ein großes Land befremdlich. Und der Westen? Mir scheint: Gefühlswallugen trüben immer wieder und seit Jahren in tendenziell zunehmendem Maße den klaren Blick auf das Mögliche. Die Erfahrungen mit den bedrückenden Fehlschlägen westlicher Politik – Afghanistan, Irak, Libyen – flossen nicht hinreichend in die Syrienpolitik ein. Dies könnte sich in diesen Tagen ändern.

Weitere Beiträge zu Syrien finden Sie unter:

http://www.cwipperfuerth.de/2013/08/30/russland-und-syrien-teil-1/

http://www.cwipperfuerth.de/2013/09/01/russland-und-syrien-teil-2/

http://www.cwipperfuerth.de/2015/09/25/der-islamische-staat-hintergruende/

http://www.cwipperfuerth.de/2015/09/22/die-islamische-welt-der-westen-und-russland/

http://www.cwipperfuerth.de/2015/11/11/syrien-punktsieg-fuer-moskau/

 

Derzeit dominiert die „Gesinnungsethik“, Helmut Schmidt war ein „Verantwortungsethiker“, ich empfehle Ihnen dieses ausführliche Interview:

https://www.youtube.com/watch?v=_aq60QiLvVM

6 Gedanken zu „Russlands Intervention in Syrien: Gut oder schlecht?“

  1. Die Ausgangslage zu Beginn des militärischen Eingreifens durch Russland ist korrekt beschrieben. Ebenso ist die Kritik an Russland berechtigt, dass beim Gegner unzureichend differenziert würde. Offenbar wurde den Angaben der syrischen Seite zu lange blind vertraut, wobei sich angesichts der aktuellen Kritik an Assads Äußerungen eine Kehrtwendung andeutet (http://de.rbth.com/politik/2016/02/19/waffenstillstand-in-syrien-assad-will-den-krieg_569265).

    Weiterhin kann als unbestreitbar gelten, dass Russland vor allem machtpolitische Ziele verfolgt. Wenn nun aber auf westlicher Seite Stimmen vernommen werden, die „eine Orientierung des Handelns an der Moral fordern“, dann sollten handfeste politische und wirtschaftliche Motive dennoch nicht übersehen werden.

    So antwortete der Nahost-Experte Günter Meyer im Interview mit der FAZ auf die Frage, wie sehr es den Konfliktparteien um Menschenrechten ginge, wie folgt (http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/guenter-meyer-im-interview-ueber-putin-und-syrien-konflikt-13827942.html?printPagedArticle=true):
    „Es handelt sich hier vorrangig um nationale Interessen und strategische Zielsetzungen. Dabei werden Menschenrechte und Forderungen nach Demokratie nur vorgeschoben, um die Unterstützung der Bevölkerung zu gewinnen. Bei keinem der politischen Akteure, weder Russland noch den Vereinigten Staaten noch Großbritannien und Frankreich, geht es primär um humanitäre Ziele. Gerade von den Vereinigten Staaten wissen wir, dass Menschenrechtsverletzungen vorwiegend bei den politischen Gegnern, dagegen kaum bei befreundeten Staaten angeprangert oder gar geahndet werden. Solange es diese doppelten Standards in der westlichen Außenpolitik gibt, kann man den angeblichen humanitären Interessen keinen Glauben schenken.“

    1. Vielen Dank für die ausführliche Stellungnahme! Ich bin der Ansicht, dass die westliche Politik in den vergangenen Jahren merklich und zunehmend von einem Wunschdenken geprägt wird, also nicht hinreichend rational agiert. Dies wird in den Medien noch deutlicher, deren Niveau meines Erachtens in den vergangenen Jahren gesunken ist. Die mangelnde kühle Abwägung – und die unzureichende Fähigkeit aus Fehlern zu lernen – zeigte sich hinsichtlich Afghanistans, des „Arabischen Frühlings“, Syriens, der Ukraine oder etwa Moldaus. Darum schrieb ich von einer „scheinbar wertorientierten Politik“ des Westens. Auch eine wertorientierte Politik bedarf eines kühlen Kopfs, um nicht allzu viel nicht beabsichtigte Folgen zu bewirken.
      Beste Grüße von Christian Wipperfürth

  2. Dr. Lothar A. Heinrich
    Bonn

    Sehr geehrter Herr Wipperfürth,

    ich habe Ihren o.a. Beitrag zu Russland/Syrien mit Interesse und
    Zustimmung gelesen – bis auf einen Punkt: Glauben Sie wirklich, dass
    die Geschichte „westlicher“ militärischer, politischer und ökonomischer
    Interventionen außerhalb der eigenen Grenzen Anlass zu der Vermutung
    gibt, moralische Werte à la „Demokratie“ und „Menschenrechte“ spielten
    dabei eine besondere Bedeutung im Vergleich zum Willen, die eigene
    materielle Vorherrschaft zu bewahren oder durchzusetzen? Das wäre
    vielleicht noch vorstellbar, wenn es nicht die jahrzehntelange Erfahrung
    mit den Resultaten gäbe, oder wenn man von intellektueller
    Minderbemittlung aller führenden Vertreter „des Westens“ ausginge. Ich
    denke, diese Erfahrung ist Grund genug, Johann Gottfried Seume
    (1763-1810) recht zu geben, wenn er schrieb: „Das Schild der Humanität
    ist die beste, sicherste Decke der niederträchtigsten öffentlichen
    Gaunerei“. Zwar weisen Sie in Ihrer Antwort vom 20.2. darauf hin, dass Sie in Ihrem Artikel den Begriff „scheinbar“ verwendet haben, aber ich glaube, das genügt nicht. Einerseits ist es natürlich so, dass die „Demokratie“, wenn auch nur die bürgerliche, von der Oscar Wilde einst schrieb, es handele sich bei ihr um die Kunst, mit Hilfe des Volkes gegen das Volk zu regieren, die eigentliche Herrschaftsform ist, die dem Privatkapitalismus angemessen ist. Aber da in jeder Klassengesellschaft deren Aufrechterhaltung in ihrer ökonomischen Grundlage letztlich das ausschlaggebende Interesse ist, kann ihre politische Form letztlich nur sekundär sein. Sowohl der Machtantritt des Faschismus als auch der des Stalinismus haben das im letzten Jahrhundert noch einmal verdeutlicht. Für die Gegenwart und die zugespitzte Krise des Nahen Ostens erlaube ich mir, auf das populärwissenschaftliche Buch von Michael Lüders: „Wer den Wind sät – Was westliche Politik im Orient anrichtet“ (C.H.Beck), München 2015 zu verweisen. Das Problem der „westlichen“ Politik in diesem Raum war allerdings zumindest bis zur sogenannten Flüchtlingskrise in Europa für den externen Beobachter (natürlich nicht für die unmittelbaren Leidtragenden vor Ort) nicht in erster Linie, dass sie dort ihre moralfreien Interessen durchzusetzen trachtet, sondern dass sie nicht einmal dabei wirklich funktioniert.

    Mit freundlichen Grüßen

    Lothar A. Heinrich

    1. Sehr geehrter Herr Heinrich,
      haben Sie Dank für Ihre ausführliche Stellungnahme.
      Immanuel Kant stellte fest: „Aus so krummem Holze, als woraus der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden. Nur die Annäherung zu dieser Idee ist uns von Natur auferlegt.“ Kant mahnt zur Bescheidenheit, zugleich jedoch, sich um mehr Geradheit zu bemühen. Trotz der Gewissheit, diese nicht erreichen zu können. Er betrachtet es jedoch als Aufgabe des Menschseins, sich hierum zu bemühen. Kants Ansicht teile ich vollauf.
      Bei dem Versuch, etwas wirklich Gerades aus dem Menschen zu machen, bzw. eine wirklich „gerade“ Außenpolitik zu machen sind bereits „viele Späne“ geflogen.
      Es gibt kein Allheilmittel. Auch nicht die Menschenrechtsorganisationen haben goldene Rezepte, denen man nur zu folgen brauchte, um eine ziemlich vollkommene Welt zu erreichen.
      Zunehmend mehr Menschen im Westen glauben jedoch, es gebe diese goldenen Regeln. Wir leben in einem Zeitalter der Ideologisierung, der Überzeugung, dass etwas „ganz Gerades“ gezimmert werden könne. Die Debatte und Politik wird seit Jahren zunehmend emotionaler, kurzatmiger, holzschnittartiger und von Schwarz-Weiß-Schemata geprägt. Kants weise Bescheidung ist aus dem Blick geraten. Mahnungen zur Umsicht, oder aus vergangenen Fehlern zu lernen, gelten zumindest als kleinmütig. – Demgegenüber gab es in der Vergangenheit Zeiten, in denen das „Bemühen um mehr Geradheit“ zu kurz kam.
      Was tun? Kühlen Kopf wahren. Sich von der tendenziell zunehmend von Emotionen geprägten Stimmung nicht anstecken lassen. Sich immer wieder um rechte Maß zwischen Bescheidung und Ehrgeiz zu bemühen. Und – um Himmels Willen! – nicht glauben, dass es ein Allheilmittel gäbe, das nur eingesetzt werden müsste und schon könnten wir einen großen Sprung Richtung „mehr Geradheit“ gemacht. Das, genau das, glauben heutzutage jedoch deutlich mehr Menschen als vor 10 oder 20 Jahren. Die Androhung oder Ausübung von Sanktionen und Waffengewalt ist populärer denn je in der bundesrepublikanischen Geschichte, trotz der ernüchternden Erfahrungen, die hiermit in den vergangenen Jahren gemacht wurden. Diese mit emotionaler Vehemenz vorgetragene Gewissheit, eine wirklich neue und bessere Welt aufbauen zu können ist beunruhigend und die wohl ausschlaggebende Ursache für die Serie an Fehlschlägen westlicher Politik in den vergangenen zehn Jahren. Politik wird mehr und mehr als die „Kunst des Wünschenswerten“ betrachtet, weniger als „Kunst des Möglichen“.
      Es grüßt Sie
      Christian Wipperfürth

  3. Sehr geehrter Herr Murawski,
    haben Sie Dank für den Hinweis auf den FAZ-Beitrag. Mir scheint, dass das wichtigste Argument zum Schluss vorgebracht wird. Dass im Krieg (und der Bürgerkrieg ist einer, im Allgemeinen sogar der scheusslichste) auch alle die trifft, die ihn nie wollten, ist leider stets so. Es scheint mir aber durchaus Kriege zu geben, die trotzdem gerechtfertigt weil notwendig waren, um bessere Zustände für die Menschen zu ermöglichen. So einer war wohl der 2. Weltkrieg gegen Nazi-Deutschland. In Syrien aber war schon relativ bald nach Beginn des Aufstands abzusehen, dass die Opposition keine realistische Alternative zur Assad-Diktatur anzubieten hatte, nicht in der Lage sein würde, sich ausreichend zu vereinigen und folglich das Ergebnis ihres bewaffneten Aufstands nur das allgemeine Chaos sein würde, das allemale für die Mehrzahl der Menschen schlechter ist als eine Diktatur. Allgemeines Chaos bedeutet letztlich nichts anderes, als dass die Menschen statt mit einem Unterdrücker (hier dem Regime) mit derer Dutzenden hinter jedem neuen Häuserblock konfrontiert sind. Man erinnere sich z.B. an die Machtübernahme der „Mojahedin“-Gruppen in Afghanistan (bekanntlich auch mit westlicher Hilfe), die jene der Taliban als – zunächst – begrüßte Ordnungsmacht nach sich zog. Einen solchen „Bürgerkrieg“ trotzdem durch Geld, Waffen und politische Unterstützung am Leben zu erhalten, ist das wahre Verbrechen.

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