Auswege aus der Spirale von Gewalt und Sanktionen

Ich empfehle Ihnen, zunächst die folgenden (in den letzten Tagen erschienenen) beiden Beiträge zu lesen, falls Sie sie noch nicht gesehen haben: http://www.cwipperfuerth.de/2014/08/die-ukraine-der-westen-und-russland-fruehjahr-und-sommer-2014/; http://www.cwipperfuerth.de/2014/08/die-ukraine-russland-und-der-westen-was-wird-geschehen-wenn-gewalt-und-konfrontation-anhalten/.
Um aus der Spirale herauszufinden muss eine Grundvoraussetzung erfüllt sein: Es muss zumindest der Anschein vermieden werden, dass eine der Seiten uneingeschränkt den „Sieg“ davonträgt.
Eine Lösung muss folgende Eckpunkte umfassen:
– Ein sofortiger Waffenstillstand in der Ostukraine.
– Eine umgehende internationale Hilfe für die Menschen.
– Die Ukraine erklärt sich bereit, den von der Schweiz vorgelegten Plan umzusetzen, das Land zu dezentralisieren und den Status der russischen Sprache beizubehalten.
– Russland erklärt sich bereit, dass sich ukrainische Beamte auf der russischen Seite an der Kontrolle der Grenze beteiligen könnten, und zwar dort, wo auf der ukrainischen Seite die Separatisten die Kontrolle ausüben. Die Grenze sollte auch von OSZE-Beobachtern überwacht werden. Dies ist bereits am 2. Juli von den Außenministern Deutschlands, Frankreichs, Russlands und der Ukraine auf Initiative Steinmeiers vereinbart worden.
– Eine Versöhnungskommission, die nach südafrikanischem Vorbild Verbrechen offen thematisiert, aber keine Strafverfolgungsmaßnahmen einleitet.
– Russland wird einer wirtschaftlichen Kooperation zwischen der Ukraine und der EU keine Steine in den Weg legen.
– Russland bietet der Ukraine eine Vereinbarung über langfristige Gaslieferungen zu international vergleichbaren Preisen an.
– Kiew verpflichtet sich, einen NATO-Beitritt nur bei einer überwältigenden Zustimmung der Bevölkerung anzustreben. Die Hürde könnte beispielsweise bei 70% liegen. Dies macht die NATO-Mitgliedschaft sehr unwahrscheinlich, ohne sie formal auszuschließen.
– Die NATO sichert zu, für einen Beitritt der Ukraine zwar offen zu bleiben, ihn aber nicht aktiv anzustreben.
– Im Osten der Ukraine könnte eine Volksabstimmung durchgeführt werden, unter starker Präsenz von OSZE oder UN. Die territoriale Integrität der Ukraine stünde hierbei nicht zur Debatte, aber das Ausmaß der Selbstverwaltung der Region.
– Die Entscheidung über den endgültigen Status der Krim wird auf ein zweites Referendum verschoben. Dies sollte nach einer Übergangsphase unter internationaler Aufsicht und nach internationalen Verfahrensstandards abgehalten werden. Für die Übergangsphase bliebe die Krim Teil Russlands.
Eine einvernehmliche Wiederholung der Abstimmung würde allen Parteien ermöglichen, die Probleme der Ukraine gemeinsam anzugehen, ohne ihre unterschiedlichen Positionen zur Rechtmäßigkeit des ersten Referendums aufgeben zu müssen. Während Russland die Angliederung der Halbinsel somit unter den Vorbehalt einer erneuten Zustimmung in einem international anerkannten Verfahren stellen müsste, würden Kiew und der Westen den gegenwärtigen Zustand für diese Übergangszeit akzeptieren und den Bewohnern der Krim ein Selbstbestimmungsrecht einräumen. Es sollte klargestellt werden, dass die Ausübung dieses Rechts aus dem historischen Sonderstatus der Krim herrührt. Somit würde ein Präzedenzfall mit Auswirkungen auf Gebietskörperschaften anderer ukrainischer Regionen verhindert.
– Russland leistet der Ukraine Entschädigungszahlungen für den Verlust von Anlagen auf der Krim oder verrechnet diese mit nicht beglichenen Ansprüchen aus Gaslieferungen.
Diese Liste ist unvollständig und viele Fragen bleiben offen. Eines ist jedoch sicher: Eine anhaltende Konfrontation ist mit zu großen Risiken behaftet, um eine ernsthafte Alternative zu einem für alle Seiten gesichtswahrenden Kompromiss zu sein.

4 Gedanken zu „Auswege aus der Spirale von Gewalt und Sanktionen“

  1. Herzlichen Dank für Ihr Engagement. Sehr wichtig: Ihre die NATO-Mitgliedschaft betreffenden Ausführungen. Von größter Bedeutung: Ihr letzter Satz. Wie kommen Ihre Äußerungen an die entscheidungsbevollmächtigten Politiker? Die Zeit drängt sehr. D.N.

    1. Liebe Frau Nienborg,
      danke für Ihr Schreiben! Ich bin mit einigen Personen in Kontakt, die Entscheidungen treffen oder daran mitwirken. Ja, die Zeit drängt sehr, dutzende Menschen sterben täglich, hunterttausende leben in Furcht. Ob auf der einen, oder der anderen Seite …
      Ich hoffe, Ihnen geht es gut!
      Es grüßt Sie
      Christian Wipperfürth

  2. Die Ukraine-Krise ist vielschichtig, deshalb so schwer zu lösen. Neben der Waffenruhe im Osten und ernsthaften Schritten zur kulturellen und wirtschaftlichen Autonomisierung der ukrainischen Regionen, muss ein Wirtschaftskollaps der Ukraine aufgehalten werden. Mit ernsthaften Reformen wurde in Kiew noch nicht begonnen, als Alibi dafür gilt der Krieg. Der Gaskrieg zwischen Russland und der Ukraine verschärft sich zusehends, die EU scheint als Vermittler machtlos. Zu all dem stehen Russland und die NATO möglicherweise vor einer neuen Aufrüstungsspirale: Raketenabwehr in Polen und Baltikum – Iskander Raketen in Kaliningrad. Im September soll auf der 11. Yalta European Strategy Konferenz in Kiew ein weiterer Vermittlungsversuch von Seiten führender NGOs gestartet werden.

    1. Lieber Herr Rahr,
      vielen Dank für Ihren Kommentar!
      Sie haben Recht, die Krise ist sehr vielschichtig, und ein wirtschaftlicher Zusammenbruch der Ukraine ist denkbar. Der erste Schritt müsste gleichwohl ein Frieden im Osten der Ukraine sein.
      Ich wünsche Ihnen eine glückliche Hand auf der 11. Yalta Konferenz in Kiew!
      Beste Grüße von
      Christian Wipperfürth

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