Jüngste Entwicklungen und Aussichten in der Ukraine

Die Situation in der Ukraine könnte nach der Beruhigung der vergangenen Tage von neuem eine dramatische Wendung nehmen. Ein Auseinanderbrechen der Ukraine muss verhindert werden. Berlin, Brüssel, Moskau und Washington sind sich in dieser Hinsicht einig. Hierzu muss die neue Führung der Ukraine zur Mäßigung angehalten werden. Leider stimmen einige Indizien nicht optimistisch.

1.    Von der bisherigen Regierungspartei haben sich zahlreiche Abgeordnete losgesagt. Die „Partei der Regionen“ bleibt gleichwohl die stärkste Kraft im ukrainischen Parlament und sich zu ihrer Oppositionsrolle bekannt. Die neue Mehrheit in der Volksvertretung hat aber unter anderem einen führenden Vertreter der rechtsradikalen „Swoboda“-Partei damit beauftragt, die Arbeit der Generalstaatsanwaltschaft zu beaufsichtigen. Somit kann als sicher gelten, dass von Vertretern der bisherigen Führung angeordnete bzw. von staatlichen Sicherheitskräften durchgeführte Gewalttaten nachdrücklich geahndet werden. Das ist notwendig. Ebenso sicher ist jedoch, dass die Taten von gewalttätigen Oppositionellen nicht thematisiert werden. Es ist jedoch erforderlich unvoreingenommen zu prüfen, inwiefern Gewalthandlungen von der einen oder anderen Seite lediglich als legitime Notwehr oder als strafwürdiges Verbrechen zu behandeln sind. Dies ist grundsätzlich geboten. Zudem könnten ansonsten Extremisten zu der Ansicht gelangen, auch für die Zukunft einen Freibrief erhalten zu haben.

2.    Die neue Parlamentsmehrheit hat den Beschluss von 2012, Regionen zu gestatten neben dem Ukrainischen auch eine andere Sprache für den offiziellen Verkehr zuzulassen, revidiert. Diese Maßnahme ist übereilt und vertieft Gräben. Übrigens nicht nur zur russischsprachigen Bevölkerungsgruppe, sondern auch beispielsweise zur ungarischsprachigen Minderheit.

Die Ukraine ist bislang zentralstaatlich organisiert, obgleich die Bevölkerung ethnisch und kulturell stark diversifiziert ist. Selbst im Falle der alten Demokratie Belgiens hat dies zu einer bereits seit Jahrzehnten dauernden politischen Frontstellung zwischen dem flämisch- und dem französischsprachigen Landesteil geführt, nicht zuletzt, weil den Landsteilen viel zu spät eine Autonomie gewährt wurde, was Ressentiments erst geschaffen oder zumindest verstärkt hat. Eine solche Frontstellung muss für die Ukraine vermieden werden. Das Land muss bundesstaatlich organisiert werden, um zukunftsfähig zu sein.

Aus russischer Sicht ist die Entwicklung der vergangenen Woche eine schwere Niederlage. Aber vielleicht nur auf den ersten Blick. Denn in Zukunft wird es nicht nur Russland sein, das mit Milliarden den Bankrott des Landes verhindern muss. Die Ukraine hat den Westen bereits um eine dringende Finanzspritze in Höhe von 35 Milliarden US-Dollar nachgesucht. Das könnte bedeuten: Der Westen wird mit der Ukraine (hoffentlich) ein Land stabilisieren, das ökonomisch betrachtet für Russland eine ungleich größere Bedeutung besitzt als für den Westen.

Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, dass Russland die bereits im Dezember an die Ukraine geflossenen drei Milliarden US-Dollar zurückfordern wird. (Zu den Hintergründen siehe meinen Blogbeitrag vom 17.02., http://www.cwipperfuerth.de/2014/02/streit-um-die-ukraine-berlin-bruessel-und-moskau-muessen-miteinander-reden-nicht-uebereinander/) Wünschenswert, ja notwendig wäre eine gemeinsame und koordinierte Hilfsaktion des Westens und Russland, für die z.B. Bundesaußenminister Steinmeier eintritt.

Es ist allerdings denkbar, dass der Kreml die Gaspreisermäßigung zurücknimmt, denn sie war an die Aussicht des Beitritts in die Zollunion gebunden, die Kasachstan, Russland und Weißrussland gebildet haben.

Der Kreml hat auch, ebenso wie die EU, gegen die Inhaftierung Julija Timoschenkos protestiert. Sie wurde (unter dem angeblich pro-russischen Präsidenten Janukowitsch) verurteilt, weil sie ein Gasabkommen mit Russland ausgehandelt hat, dass den russischen Gaslieferanten einseitig bevorteilt habe. Timoschenko wird in den kommenden Monaten voraussichtlich eine führende Rolle spielen. Anti-russisch ist sie nicht, wohl auch nicht pro-westlich. Sie ist eine Politikerin, mit der man Geschäfte machen kann und auf deren Wort Verlass zu sein scheint. Auch dies unterscheidet sie von Janukowitsch.