Russland und Syrien, Teil 2

Im vergangenen Blogbeitrag wurde diskutiert, welche Motive nicht ausschlaggebend für die russische Syrienpolitik sind. Ich fasse kurz zusammen:

Es kann erstens als ausgeschlossen gelten, dass Russland Assad stützt, um keinen Kunden seiner Rüstungsindustrie zu verlieren. Zweitens: Die früher bestehende Möglichkeit, russische Kriegsschiffe im syrischen Hafen Tartus anlanden zu lassen ist aus russischer Sicht von Belang, kann aber verschiedenen Gründen nicht ausschlaggebend für die Syrienpolitik des Kreml sein. Und Russlands Außenpolitik wird drittens auch nicht durch grundsätzlich antiwestliche oder Pro-Assad Motive getrieben. Beides wäre innerhalb Russlands hochgradig unpopulär und widerspräche den nationalen Interessen, z.B. um Manövrierspielraum gegenüber China zu wahren.

Kommen wir zu den Motiven der russischen Seite:

1. Moskau ist der Auffassung, der Westen habe sich ohne Not die Position einer der beiden Bürgerkriegsparteien zu eigen gemacht. Während der Westen die syrische Regierung für den Beginn des Blutvergießens im Frühjahr 2011 verantwortlich macht, betont der Kreml, es handele sich um einen Konflikt, bei dem schwarz und weiß nicht eindeutig benannt werden könnten. Und während der Westen, auch Deutschland, seit Sommer 2011 den Rücktritt des syrischen Präsidenten fordert, bezeichnet der Kreml dies als eine Frage, die von den Syrern in Verhandlungen zu lösen sei. Russland betrachtet Assad nicht als Verbündeten.

2. In Russland wird eine im Westen verbreitete Begeisterung für revolutionäre Umbrüche in autoritär regierten Staaten ganz grundsätzlich nicht geteilt. Es herrscht die Meinung vor, dass die menschlichen Kosten zu hoch und die Erfolgsaussichten auf eine grundsätzliche Verbesserung zu gering seien. Hier wirken die Erfahrungen von 1917 und der 1990er Jahre nach. Dies ist nicht nur die Haltung des Kreml, sondern auch der großen Mehrheit der russischen Gegner Putins. Russland fürchtet unabsehbare Konsequenzen, beispielsweise die Vertreibung von Minderheiten. Aus dem Irak sind nach dem Sturz Saddam Husseins fast alle der zwei Millionen Christen geflohen. Zudem sind nach russischer Auffassung auch die jüngsten Erfahrungen mit Umbrüchen in der arabischen Welt nicht ermutigend.

3. Darüberhinaus glaubt Russland nicht, dass die westlichen Politik menschenrechtlich begründet sei. Man vermutet eine versteckte Agenda.

In den vergangenen beiden Jahren konnte durchaus wiederholt der Eindruck entstehen, Moskau schütze Assad. Russland (und China) haben mehrfach Resolutionen des UN-Sicherheitsrats zu Fall gebracht, die die Führung Syriens verurteilen sollten. Auf der anderen Seite hat Russland eigene Resolutionsentwürfe vorgelegt, die mitunter auch von den westlichen Mitgliedern positiv aufgenommen wurden, beispielsweise im Dezember 2011. Darin wurde allerdings die Gewalt aller Kriegsparteien in Syrien verurteilt. Im Mai 2012 verurteilte der Weltsicherheitsrat einmütig den Artillerie und Panzerbeschuss eines Wohnviertels durch syrische Regierungstruppen als „abscheuliche Gewalt gegen die Zivilbevölkerung“.

Im Mai 2013 einigten sich die USA und Russland darauf, gemeinsam für eine Konferenz der Kriegspartien einzutreten. Dazu ist es bislang nicht gekommen. Dies lag insbesondere an der Uneinigkeit der sehr herogenen Opposition, von der nur einige Gruppen teilnehmen wollten.

Hätte der Kreml die Möglichkeit, stärker auf die syrische Führung einzuwirken? Russland war in der Vergangenheit immerhin der mit Abstand wichtigste Waffenlieferant des Landes.

Folie1

(Quelle: SIPRI Arms Transfers Database, http://www.sipri.org/databases/armstransfers/, nach: Russian Analytical Digest No. 128, 10.06.2013, S. 8.)

Die syrische Führung kann sich mittlerweile aber auf die schützende Hand Moskaus verlassen. Russland hat faktisch Partei ergriffen, ebenso wie der Westen. Die Kriegsparteien können darauf bauen, von den Großen nicht fallen gelassen zu werden. Es geht mittlerweile nicht mehr um die Situation in Syrien, sondern um die Glaubwürdigkeit der Außenpolitik großer Länder. Meines Erachtens werden der Westen und Russland von den Fraktionen innerhalb Syriens und Regionalmächten wie Saudi-Arabien, die Türkei oder den Iran instrumentalisiert. Der Westen ist in diese Position geraten, weil er sich von unüberlegtem ideologischem Eifer treiben ließ. Und Russland agiert mit hohem Blutdruck und Anzeichen von Trotz.

Höchste Zeit für Verhandlungen. Vielleicht erhält die Vernunft auf dem bevorstehenden G20-Gipfel in Russland eine neue Chance.